„Bild“ verwechselt „Tagesschau“ und „tagesschau.de“

So, liebe Freunde bei BILD, jetzt habt Ihr mir den Schlaf geraubt, und ich fühle mich als Leser verarscht, aber so richtig:

„Tagesschau rechnet mit Merkel ab!“ Wow! Und dann noch der schöne Gag: „Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Rücktrittsforderung! Ta-ta-Ta-ta-ta-taaaa!“

Ich habe mir alle „Tagesschau“-Sendungen von Montag in der Mediathek angeschaut, von 6:00 Uhr bis zu den „Tagesthemen“. Dieser Kommentar des ARD-Brüssel-Korrespondenten Malte Pieper, der einige BILD-Leute offenbar in einen freudigen Erregungszustand versetzt hat, wurde gar nicht in der Tagesschau gesendet! In keiner Ausgabe!

Das ist auch kein Wunder, denn Malte Pieper ist Hörfunk-Korrespondent und nicht Fernsehkorrespondent. Sein Kommentar ist – warum auch immer – auf der Website „tagesschau.de“ als Audio-Datei abrufbar (mit Datum 25.6.2018, 8:50 h) und als Text (25.62018, 9:52 h) veröffentlicht worden.

Mit der „Tagesschau“, der Hauptnachrichtensendung im Deutschen Fernsehen, hat das absolut NICHTS zu tun. Nichts „Ta-ta-Ta-ta-ta-taaaa”.

Aber es wird der Eindruck erweckt, es habe „ausgerechnet die öffentlich-rechtliche Tagesschau“ der Kanzlerin endlich einmal richtig einen mitgegeben.

Eure rabulistische Rechtfertigung kann ich jetzt schon herunterbeten: „Wir haben ja gar nicht behauptet, dass das im Fernsehen gesendet wurde.“ „Wir haben ja extra noch einen Screenshot der Website tagesschau.de gezeigt.“ „Die ganze Geschichte ist super sauber aufgeschrieben.“

Ja, Leute, für die Rechtsabteilung und studierte Leser mit zweitem juristischem Staatsexamen mag das gelten. Aber 98 Prozent Eurer Leser habt Ihr vorgegaukelt, die Ta-ta-Ta-ta-ta-taaaa-Tagesschau hätte einen Frontalangriff auf die Kanzlerin geführt. Hat sie nicht. NICHT!

Das würde mich alles nicht so aufregen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass derartige journalistische Fouls sich in letzter Zeit häufen. Ich denke da zum Beispiel an die Schlagzeile vom 14. Juni: „Merkel ganz allein! Nur drei Unions-Abgeordnete stellen sich hinter die Kanzlerin“ Der normale BILD-Leser (also der ohne zwei juristische Staatsexamen) denkt: Da gab es bei der CDU/CSU-Fraktion eine Abstimmung, und nur drei hätten für die Kanzlerin gestimmt.

In Wirklichkeit aber hatte BILD an alle Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine E-Mail geschickt und gefragt, ob sie für oder gegen eine Zurückweisung von bereits registrierten Flüchtlingen sind. 69 haben geantwortet. Und von denen haben nur drei die Position der Kanzlerin unterstützt. Daraus kann man, aber sollte man keine Schlagzeile machen. Das ist unseriös. Denn 177 von den 246 Abgeordneten haben überhaupt nicht auf die BILD-Anfrage reagiert.

Fazit: Wenn man in einen Kampf zieht (und ich meine: Journalisten sollten das gar nicht tun), dann bitte mit offenem Visier. Und immer dran denken: Leser merken es, wenn sie verschaukelt werden. Früher oder später.

Seite 1 der „Bild“-Zeitung vom 26. Juni 2018
Seite 2 der „Bild“-Zeitung vom 26. Juni 2018
Am Abend des 25. Juni berichtete „bild.de“, was „Bild“-Leser am nächsten Morgen erwartet.
Nicht die Fernseh-Nachrichtensendung „Tagesschau“ hatte Merkel kritisiert, sondern ein Hörfunk-Korrespondent in einem Kommentar auf „tagesschau.de“

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