Ein Bild (oder zwei) sagt mehr als tausend Worte. Die „Bild“-Zeitung regt sich (bzw. uns) gern auf. Das ist das Geschäftsmodell. Hauptsache, man kann es groß machen und Emotionen schüren. Das ist im Prinzip auch in Ordnung, so funktioniert eine Boulevard-Zeitung nun einmal. Allerdings gibt es eine Regel im kleinen Einmaleins des Boulevard-Journalismus: Der Grund für die Auf- und Erregung sollte stimmen. Wenigstens ansatzweise. In der Berichterstattung nach der Europawahl 2019 zeigt sich allerdings: „Bild“-Chef Julian Reichelt hat es nicht begriffen.
Bei der Europawahl 2019 hatte die Europäische Volkspartei (EVP) ihren Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU) als „Spitzenkandidaten“ aufgestellt. Das war natürlich Unsinn der EVP und nicht mehr als der Versuch, das den Menschen weitgehend unbekannte Europäische Parlament mit Namen und Gesichtern zu verbinden. In Wahrheit konnte man ausschließlich in Bayern bei „Manfred Weber“ ein Kreuzchen auf dem Stimmzettel machen. Sonst nirgendwo in Deutschland, nirgendwo in Europa. Und, was erschwerend hinzu kommt: Den Präsidenten der Europäischen Kommission schlagen die Regierungschefs vor, nicht das Europäische Parlament, idealerweise unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses.
Nach der Wahl stellte sich heraus, dass Manfred Weber als Präsident der Europäischen Kommission unter den vorschlagsberechtigten europäischen Regierungschefs nicht durchsetzbar war. Stattdessen einigten sich die Regierungschefs – die nach den Europäischen Verträgen das ausschließliche Vorschlagsrecht haben – nach zähen Verhandlungen auf die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als neue Präsidentin der EU-Kommission. Übrigens auf Vorschlag des französischen StaatspräsidentenEmanuel Macron. Von der Leyen war eindeutig nicht die Idee von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Für „Bild“-Chef Julian Reichelt und seine Jünger in der Redaktion ist das natürlich alles viel zu kompliziert. Besser, man kann Bundeskanzlerin Angela Merkel irgendetwas Böses nachrufen, die ist ja eh der „Feind“. Also dichtet „Bild“ die Schlagzeile: „Kanzlerin, so können Sie mit Wählerstimmen nicht umgehen!“ Zwar ist die Kanzlerin gar nicht mit Wählerstimmen „umgegangen“ (auch nicht schlecht oder böse). Aber man kann es ja einfach mal fett auf die Seite Eins schreiben. Die Botschaft: Böse, böse Merkel!
Nun hat sich die Welt (wieder einmal) nicht für die Meinung von „Bild“-Chef Julian Reichelt interessiert. Ursula von der Leyen wurde doch zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt. Mit neun Stimmen Mehrheit.
Was macht man, wenn man gerade aufs falsche Pferd gesetzt hat? Ganz einfach: Jubeln, jubeln, jubeln. „Wunderbar, Ursula!“ Wunderbar, „Bild“!