„Bild“ und die falsche „peinliche“ Weihnachtskarte

Wer – wie ich – lange Jahre bei Boulevard-Zeitungen gearbeitet hat, kennt auch die Kniffe, mit denen man immer halbwegs überleben kann, auch wenn man gerade ins Klo gegriffen hat. Eine Rettungs-Regel z.B. lautet: wenn Du falsch berichtet hast, lass die Korrektur aussehen wie eine neue Enthüllung. Die veredelte Variante: zünde zusätzlich ein großes Feuerwerk, das ablenkt.

Ein Musterbeispiel dafür ist die versuchte Hinrichtung der Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Annette Widmann-Mauz (CDU), durch die „Bild“-Zeitung.

„Bild“ behauptet in der Ausgabe vom 19. Dezember 2018, Widmann-Mauz, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ist, habe in ihrer Weihnachts-Grußkarte aus falscher Rücksichtnahme auf andere Religionen das Wort „Weihnachten“ schamhaft verschwiegen. Tatsächlich lautet der Text der beanstandeten Karte: „Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.“

Im „Bild“-Text empören sich dann z.B. die CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel oder der Islamismus-Experte Ahmad Mansour über den vermeintlichen Wertemangel der Staatsministerin. Und zum Beweis wird auch noch erwähnt, dass Annette Widmann-Mauz nicht nur „Weihnachten abschafft“, sondern auch noch den Moslems und Juden zu ihren Festen per Twitter Grüße gesendet hat (nicht erwähnt wurde, dass Weihnachten ja erst noch kommt und man deshalb erst jetzt dazu twittern kann).

Dieser Verrat christlicher Werte ist so schrecklich, dass „Bild“ neben dem Artikel gleich zwei Kommentare dazu abdruckt: schrecklich, schrecklich, so weit sind wir nur schon gekommen.

Der Haken an der Geschichte: diese Weihnachtskarte wurde gar nicht von Annette Widmann-Mauz verschickt, sondern von ihrer Pressestelle. Die Adressaten: rund 100 Journalistinnen und Journalisten, Redaktionen.

Die wirkliche Weihnachtskarte der Staatsministerin nimmt sehr wohl Bezug auf Weihnachten, wünscht ein „gesegnetes“ Jahr 2019. Ergänzt durch ein Zitat des tiefreligiösen Arztes und Theologen Angelus Silesius, der 1653 vom evangelischen Glauben zum Katholizismus konvertiert ist. Mehr christlich geht kaum noch.

Diese persönliche Weihnachtskarte von Annette Widmann-Mauz wurde an rund 1.000 (tausend) Empfänger verschickt. Und hätten die von „Bild“ zitierten Kritiker Sylvia Pantel oder Ahmad Mansour mal in ihren Briefkasten geguckt und ihre Post gelesen, dann hätten auch sie die überaus christliche Botschaft der Staatsministerin dort gefunden und sich vermutlich nicht über die ihnen von „Bild“ vermutlich nur vorgelesene Weihnachtskarte der Pressestelle gelästert. Der christliche Gruß wurde nämlich auch ihnen geschickt. Aber was tut man nicht alles, um mal in der Zeitung zu stehen.

Die verschwiegene (oder schlicht nicht recherchierte) Existenz der wirklichen Weihnachtskarte von Annette Widmann-Mauz musste „Bild“ natürlich auf irgendeine Weise korrigieren.

Und das macht man dann so: es wird am nächsten Tag klein, unten rechts auf der Seite, auf 24 Zeilen berichtet, dass es doch eine Weihnachtskarte mit christlichem Bezug gibt. Unter der Überschrift „Die zweite Karte der Staatsministerin“ wird Widmann-Mauz dann aber gleich Doppelzüngigkeit unterstellt: „Zwei Weihnachtskarten, zwei Botschaften.“ Die gute Karte schickt dieses karrieregeile Biest natürlich nur an Parteifreunde: „Parteiintern christlich, nach außen beliebig – ein bemerkenswerter Widerspruch.“ Bemerkenswert daran ist allenfalls, dass „Bild“ 100 Karten an Journalisten schwerer bewertet als 1.000 Karten an die wirklichen Gesprächspartner der Integrationsbeauftragten: Kirchen, Religionsgemeinschaften, Verbände und Politiker.

Damit aber niemand mit halbwegs intaktem Verstand merkt, dass „Bild“ hier die Berichterstattung von gestern ziemlich verschwurbelt korrigiert, versucht „Bild“ auf der kompletten Seite 3 Annette Widmann-Mauz nach allen Regeln der Kunst hinzurichten. Überschrift: „Kritik-Sturm wegen beschämender Weihnachtskarte – Warum ist SIE Integrationsministerin?“ Ja, warum nur? Natürlich weil Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach Auffassung von Springer-Chef Mathias Döpfner und „Bild“-Chef Julian Reichelt lieber heute als morgen aus dem Kanzleramt gejagt gehört, sie in dieses Amt befördert hat. Obwohl sie ihr Studium nicht abgeschlossen hat. Und weil sie „Vertraute“ von Angela Merkel und der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist. Und nach Auffassung von „Bild“ ist sie allein schon deshalb eine Niete, weil sie „es auch nach acht Monaten im Amt noch nicht geschafft“ hat, ein Freitagsgebet in einer Moschee zu besuchen.

Eine halbe Seite lang kriegt Widmann-Mauz von „Bild“ „auf die Fresse“ – und damit auch der letzte von ihrer Werte- und Charakterlosigkeit überzeugt wird, dürfen auch noch „Bild“-Leser auf drei Spalten über sie ein paar Kübel Schmutz ausgießen: „Blamage“, „Armutszeugnis“, „Werte mit Füßen getreten“, „Wut und Ohnmacht“, „gefühllos und ignorant“ und natürlich das unvermeidliche „Gute Nacht Deutschland“.

Warum nun gibt „Bild“ so viel Platz aus, um Annette Widmann-Mauz in Grund und Boden zu schreiben? Vielleicht hat sie sich’s mit den „Bild“-Chefs (die sich so sehr für Friedrich Merz ins Zeug gelegt hatten) versaut, als sie sich als Vorsitzende der Frauen-Union für die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden ausgesprochen hat? Das wäre aber nun wirklich reine Spekulation!

Und noch etwas: ich kritisiere „Bild“ nicht, um als griesgrämiger Ex-Mitarbeiter über meinen alten Arbeitgeber herzuziehen. Ich habe „Bild“ viel zu verdanken. Aber ich habe arge Probleme mit dem fanatischen Kurs, den der aktuelle Chefredakteur fährt. Er lässt seinem persönlichen Hass auf den Bundespräsidenten und die Bundeskanzlerin und die Institutionen dieses Landes freien Lauf. Mein langjähriger Chefredakteur Michael Spreng hat es so formuliert: „„BILD“ zersetzt mit dieser Kampagne systematisch den Respekt vor den Institutionen und Repräsentanten des Staates und delegitimiert die liberale deutsche Demokratie.“ Ich befürchte, dass er recht hat. Und das ärgert mich, weil es so viele gute Journalistinnen und Journalisten und liebgewonnene Kolleginnen und Kollegen bei „Bild“ gibt, deren bemerkenswerte Leistungen von den Kampagnen des Chefs und seiner Jünger überdeckt werden.

Ach, übrigens: Bei der Weihnachtsfeier von Axel Springer tauchte das Wort Weihnachten nicht ein einziges Mal auf, es gab keine Weihnachts-Deko, Musik war Techno, Essen von McDonalds und der Springer-Chef MAthias Döpfner war als Transe verkleidet.

Und ein Jahr später, also 2019, hatte „Bild“ selbst Weihnachten ganz auf der Weihnachtskarte vergessen: „Wir wünschen entspannte und besinnliche Feiertage und ein erfolgreiches, gesundes Jahr 2020.“ Die BILD-Religionswächter haben aber in letzter Sekunde aufgepasst und dafür gesorgt, dass 3.000 bereits gedruckte Weihnachtskarten in den Reißwolf wanderten. Weil das Wort „Weihnachten“ fehlte. Puh – nochmal Glück gehabt. Es wäre es schon peinlich gewesen, wenn auch BILD „Weihnachten abgeschafft“ hätte. Also wanderte alle gedruckten Karten in den Müll (bis auf eine, die Medienjournalistin Ulrike Simon für das Fachblatt „Horizont“ retten konnte). Es wurde neue Karten mit Weihnachten gedruckt. Hallelujah!

„Bild“-Schlagzeile vom 19. Dezember 2018
„Bild“ Seite 2 vom 19. Dezember 2018
„Bild“ Seite 3 vom 19. Dezember 2018
„Bild“-Weihnachtskarte 2019 ohne Weihnachten – die Religionswächter haben aufgepasst:
3.000 gedruckte Karten wanderten in den Müll, weil das Wort „Weihnachten“ fehlte

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