Das neue Buch von Gabor Steingart: bloß nicht kaufen!

Warnung! Der folgende Text kann Leser eventuell verstören! Gabor Steingart nämlich, bekanntermaßen einer meiner Lieblings-Journalisten in der Kategorie „Angeber“, hat sein zehntes Buch geschrieben (richtig gezählt?). Oder vor sich hingeredet. Jedenfalls heißt es unbescheiden: „Die unbequeme Wahrheit. Rede zur Lage unserer Nation“. Und da viele Menschen keine langen Texte mögen, fasse ich schon hier zusammen: Keiner sollte dieses Buch kaufen. 208 Seiten „gequirlte Scheiße“ – mit diesen Worten warf man früher die schlechtesten der schlechten Manuskripte in den Mülleimer. Das neue Buch von Gabor Steingart mit Leidenschaft verrissen.

Ihr wollt weiterlesen? Echt?

Bitte: Das Grauen beginnt schon damit, dass Steingart den Titel seines Werks beim früheren US-Vizepräsidenten und späteren Friedensnobelpreisträger Al Gore geklaut, sorry: ausgeliehen hat. Also jedenfalls zutreffend übersetzt. 2006 machte Al Gore mit seinem Dokumentarfilm (und seiner! dazugehörigen Buchvorlage) „An Inconvenient Truth“ weltweit eine breite Öffentlichkeit mit den Themen Treibhausgase, Erderwärmung und Klimawandel bekannt. Aber da hat sich Steingart wohl gedacht: Leute, die meine Bücher lesen, lesen keins von Al Gore. Und noch weniger umgekehrt. Und da hat er bestimmt Recht.

Ja, und der Gabor macht mich gleich zu seinem „Freund“ – jedenfalls trampelt er seinen Lesern gleich ungefragt in die Distanzzone:

„Liebe Freundin! Lieber Freund! Entschuldige bitte, dass ich mich so unmittelbar an dich wende. Aber nach allem, was wir gemeinsam durchlebt und durchlitten haben, sind die Gefühle des Vertrautseins stärker als die der Fremdheit. … Ich sehe dich an – und erkenne mich selbst. Wir sind einander verbunden.“

Nein! Nein! Nein!

Ich will mit Dir nicht verbunden sein, ich möchte keine gemeinsamen Gefühle mit Dir haben, Du bist nicht mein Freund! Niemals! Igitt!

Was dann folgt, ist beinahe unbeschreibbar. Das Buch von Steingart ist ein nicht enden wollendes Dauerfeuer aus Blendgranaten und Blindgängern. Grauenhafte Worthülsen, klug klingendes dummes Gewäsch, mystische Metaphern und hinkende Vergleiche.

Welche Botschaft hat das Buch von Steingart? Äh. Ja. Also irgendwie geht alles den Bach runter, die da oben machen, was sie wollen und versauen uns die Zukunft. Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation. Unter dem Eindruck der Millionen Anti-Corona-Demonstranten könnte man sagen: Verschwörungstheoretiker reden zwar noch dümmeres Zeug als Gabor Steingart. Aber man versteht sie besser, sprachlich betrachtet. Und an manchen Stellen kann man bei unserem „Freund“ Gabor Fragmente und ganze Motive unappetlitlicher Melodien erkennen.

Beispiele? Gern!

„Das Problematisieren und Zweifeln war nicht erwünscht, das Demonstrieren verboten. Es gab scheinbar nur noch ein Land, ein Volk und eine Führung, wobei bis heute unklar ist, ob diese Führung im Gesundheitsministerium, im Kanzleramt oder der Spitze des Robert Koch-Instituts saß.“

Soll das so klingen wie „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“? Also doch irgendwie Merkel-Diktatur? Oder bin ich da überempfindlich?

„Schäme dich nicht deines Unbehagens, mein Freund. Du bist nicht allein. Die Politiker haben, aufgeputscht durch das Virus, jetzt ohnehin keine Aufmerksamkeitsreserven für dich. Wie in Trance bewegt sich unsere Regierung durch diese global komponierte Weltuntergangs-Symphonie, auf deren Schlussakkord sie bisher vergeblich wartet.“

Klingt ein bisschen wie „Neue Weltordnung“ und „die da oben machen, was sie wollen“.

Dazu passt:

„Die Eliten verfolgen im stillen Einverständnis der unterschiedlichen Parteien ein ehrgeiziges Projekt: Sie wollen vom Volk ihre Souveränität zurück“.

Jetzt verstehe ich: Deshalb haben die Reichsbürger ihren Schlachtruf von „Wir sind das Volk“ in „Wir sind der Souverän“ geändert.

Auch eine steile These:

„Doch des Nachts träumt man im Berliner Regierungsbezirk, in Downing Street No. 10 und im Élysée-Palast den chinesischen Traum, in dem das Volk als Masse auftaucht, die nicht gehört, nur geknetet werden muss.“

Oder:

„Unser Staat ist nach Corona nicht mehr der alte. Er hat sich selbst ermächtigt. Er will sich spüren. Er möchte Herr im Hause sein. Der Ausnahmezustand ist sein neues Lebenselixier.“

Also scheint auch Steingart der Meinung zu sein, dass „der Staat“ die Pandemie nutzt, um uns zu versklaven? Da braucht es schon einen Retter, denn: „Es gibt in Deutschland keine geistige Gegenwehr.“ Einen Retter wie Gabor.

Jetzt tritt auf der „Schwarze Schwan“. Wer? Ja, der „Schwarze Schwan“!

„Corona ist der Schwarze Schwan für große Teile der deutschen Volkswirtschaft. Er kreist über dem Hochofen von ThyssenKrupp. Er überfliegt die Braunkohlereviere, die Reisebüros von TUI und die VW-Zentrale in Wolfsburg, um auf jenen Produktionsanlagen zu landen, in denen seit hundert Jahren der Verbrennungsmotor gefertigt wird. Das Wappentier des bevorstehenden Unglücks nistet auch auf den Zinnen alter Macht im Frankfurter Bankenviertel.“

Da habe ich zwei Bemerkungen – eine bezieht sich auf unsere Tierwelt, die andere auf Welt der Zufallsforschung.

Kein Schwein, äh Schwan, mein Freund, nistet auf den Dächern des Frankfurter Bankenviertels. Oder überhaupt auf irgendeinem Dach. Kein einziger. Kein weißer und kein schwarzer. Ihr Lebensraum sind Seen, Flüsse und Sümpfe. Schwäne kreisen auch nie über einem Hochofen von ThyssenKrupp und landen auch nie auf Produktionsanlagen von VW. Schwäne fliegen überhaupt nur, wenn sie müssen, und bei uns müssen sie das nicht so oft. Sie starten und landen immer auf dem Wasser und nicht auf Produktionsanlagen. Wer das schon einmal gesehen hat, weiß, wie spektakulär das ist. Schwäne sind nämlich ganz schön groß und ganz schön schwer. Mein Freund.

Das Bild vom „Schwarzen Schwan“ hat Gabor Steingart für sein Buch vermutlich bei Nassim Nicolas Taleb, Professor für Risikoanalyse an der Universität von New York, geklaut, sorry: entlehnt.

Der Begriff bezeichnet völlig unvorhersehbare Ereignisse als „Schwarzer Schwan“ (weil schwarze Schwäne sehr, sehr, sehr selten sind). Taleb hat den Begriff „Schwarzer Schwan“ 2001 zum ersten Mal in seinem Buch „Fooled By Randomness“ erwähnt, bezog sich dabei auf unerwartete Ereignisse, die die Finanzwelt tangieren. 2007 veröffentlichte er dann ein weiteres Buch mit dem Titel „The Black Swan“.

Würde der große Journalist Gabor Steingart weniger als Wortkanone, sondern mehr wie ein Journalist arbeiten, dann hätte ihm die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 23. März dieses Jahres auffallen können. Dort hat nämlich Nassim Taleb, der Erfinder des Schwarzen Schwans, in einem gemeinsamen Artikel mit dem US-Investor Marc Spitznagel folgendes geschrieben:

„Manche bezeichnen die Pandemie, die nun den Anstoß zur Verabschiedung des Hilfspakets für die Luftfahrtindustrie gab, als «schwarzen Schwan» – also ein völlig unerwartetes Ereignis, auf das nicht vorbereitet zu sein entschuldbar ist. Damit spielen sie auf das Buch «Der schwarze Schwan» an, das einer von uns verfasst hat. Hätten sie das Buch wirklich gelesen, dann wüssten sie, dass eine globale Pandemie dort klar und deutlich als weisser Schwan figuriert – als ein Ereignis, das mit Gewissheit irgendwann eintreffen wird.“

Diese Recherche ist dann irgendwie dumm gelaufen. Oder hat, wie ich vermute, nie stattgefunden. Mein Freund.

Wie beliebig Gabor Steingart seine Plattitüden hin- und herschiebt, fällt auch bei folgendem Hammer-Satz auf:

„Demokratie beginnt, wenn andere wollen, dass du schweigst.“

WOW!

Das ist genau betrachtet natürlich völliger Bullshit. Beginnt etwa Demokratie, wenn Anti-Corona-Demonstranten die ZDF-Reporterin Dunja Hayali oder die BILD-Reporterin Angelique Geray umzingeln und niederbrüllen, damit sie schweigen? Ich glaube nicht. Sie endet da eher.

Aber das hat mein Freund Gabor auch sicher nicht so gemeint. Das ist ja nur ein Bedeutung vortäuschender Textbaustein. Sein Werbe-Video für sein Medienportal „The Pioneer“ vom Mai 2019 beginnt mit den ebenso schicksalsschwangeren Worten:

„Journalismus beginnt dann, wenn andere wollen, dass Du schweigst.“

WOW!

Auch ich würde mir manchmal wünschen, dass Du schweigst, mein Freund. Vielleicht kannst Du es dann ja nochmal mit dem Journalismus versuchen. Oder Du schwurbelst einfach weiter, nennst Dich dann aber bitte nicht mehr Journalist.

Sondern vielleicht einfach „Buchstabensuppenkoch“ oder „Selbstdarsteller“.

Gabor Steingart und sein neues Buch
Den Titel „Unbequeme Wahrheit“ wählte auch schon Al Gore 2006. Allerdings auf Englisch.

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