Mit Datenschutz in die Steinzeit

Vorwärts Genossen – es geht zurück! Ulrich Kelber (SPD), der „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ (BfDI), will der Bundesregierung ihre „Fanpage“ auf Facebook verbieten. Der Angriff auf das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) leitet Kelbers erste Schlacht in seinem Krieg gegen Facebook ein. Hat er das BPA besiegt, wird er sich alle Facebook-Fanpages vorknöpfen. Denn nach seiner Überzeugung ist „der Betrieb einer Facebook Fanpage nicht datenschutzkonform möglich.“ Kelber will Deutschland mit dem Vehikel Datenschutz in die Steinzeit der digitalen Kommunikation zurückbomben.

Die Facebook-Fanpage der Bundesregierung

„Datenschutzaufsichtbehördliches Verfahren“

Kelber kämpft seit seinem Amtsantritt im Januar 2019 gegen die Facebook-Auftritte der gesamten Bundesregierung. Sein Bescheid mit Datum vom 17. Februar 2023 an Regierungssprecher Steffen Hebestreit ist der Beginn für ein „Datenschutzaufsichtsbehördliches Verfahren“ und ist mit Begründung schlappe 44 Seiten lang. Ich erspare mir (und Ihnen) eine detaillierte Auseinandersetzung damit.

Im Prinzip geht es um folgendes: Kelber stört sich daran, dass Facebook bei Nutzern, die die Fanpage der Bundesregierung besuchen, eine Handvoll Cookies setzt. Facebook nutzt diese Cookies, um den Usern möglichst zielgenau Werbeanzeigen in die Seitenansicht einzuspielen. Das ist das Geschäftsmodell von Facebook.

Kelber bemängelt, dass Nutzer diese Cookies nicht verbindlich akzeptieren oder ablehnen können. Das sei ein Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Jetzt könnte man meinen, dass Kelber deswegen gegen Facebook vorgehen würde, weil die ja schließlich als Anbieter für die Einhaltung der DSGVO verantwortlich sein müssten.

BPA leichter zu attackieren als Facebook

Das ist ihm aber zu mühsam. Und deshalb geht er den leichteren Weg, indem er behauptet,  dass sowohl Facebook wie auch das BPA gemeinsam für die Einhaltung der DSGVO verantwortlich seien. So ein kleines BPA ist natürlich leichter zu attackieren als der amerikanische Internet-Riese „Meta“, zu dem Facebook gehört.

Im Land der Rechthaber, Paragraphenreiter und Erbsenzähler kann man sich ein Leben lang mit solchen Dingen beschäftigen. Kelber, der kurz nach seinem Amtsantritt auch eine  nebenberufliche „Honorarprofessur für Datenethik“ an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg übernommen hat, ist mit seinen Fachleuten in der Juristen-Blase sicher gut aufgestellt.

Mein kluger (und lustiger) Vater verspottete Rechthaberei gern mit dem Hinweis, dass auf dem Grabstein dann zwar „Er hatte Vorfahrt!“ steht, man aber trotzdem tot ist. Also etwa so:

Nach einer Idee von Georg Streiter (1907-1976)

Facebook ist direkter Kanal zu den Menschen

Was offenbar fehlt, ist ein Bezug zum Leben. Also zum echten Leben draußen vor der Bonner Behörden-Tür. Da gibt es nämlich 920.000 „Fans“ und eine Million Menschen, die die facebook-Seite der Bundesregierung abonniert haben. Das bedeutet: Diese Menschen kann die Bundesregierung direkt erreichen und über ihre Politik informieren. Ein solcher Zugang ist wichtig in einer Welt voller Falschnachrichten und Desinformationskampagnen. Und auch wenn es mir als leidenschaftlichem Zeitungsmenschen eigentlich widerstrebt: Für viele Menschen ist Facebook eine Nachrichtenquelle. Auf dieser Plattform unverfälschte Original-Nachrichten verbreiten zu können, ist ein Wert an sich. Man sollte sich an der tatsächlichen Mediennutzung der Menschen orientieren, um diese auch wirklich zu erreichen. Soziale Medien sind für viele, gerade auch jüngere Menschen eine zentrale, teilweise ausschließliche Informationsquelle.

Diese unmittelbaren Nachrichtenkanäle nutzen ja nicht nur das BPA, sondern auch viele Ministerien, der Bundeskanzler und der Bundespräsident. Die sind ja nicht alle blöd, sondern haben sich das genau überlegt.

Übrigens war ich 2014 einer der wenigen Stänkerer im BPA, als der damalige Regierungssprecher Steffen Seibert nach Twitter auch facebook bespielen wollte. Meine Befürchtungen waren nicht datenschutzrechtlicher Natur, sondern vielmehr, dass wir alle Hetzer und Nörgler des Landes anlocken würden, ihre Schmutzkübel bei uns auszukippen.

Testfall Flugzeugunglück

Ich wurde schnell eines Besseren belehrt: Als einen Monat nach dem Start der facebook-Seite der Bundesregierung ein deutsches Flugzeug in den Alpen abstürzte und 150 Menschen starben, verbreiteten wir auch über diese Seite ein kurzes Kondolenz-Video der Bundeskanzlerin. Wie erwartet schrieben viele Idioten ihre Pöbel-Kommentare darunter („Scheinheilig!“) – aber nach kurzer Zeit schrieben auch die, die sonst nicht kommentieren: Lasst es mal sein mit Eurem Hass. Da hat es bei mir „Klick“ gemacht: Etwas besseres als dass sich die eigene Zielgruppe schützend vor einen wirft, kann ja eigentlich nicht passieren.

Ich weiß nicht, ob dem Datenschutzbeauftragten solche Gedanken jemals gekommen sind. Ich weiß aber: Sollte es ihm gelingen, dem BPA die Fanpage der Bundesregierung abzuknipsen, dann wird es finster. Vielleicht wird es dann wieder Zeit, dass das BPA auf „bewährte“ Kommunikations-Mittel setzt – z.B. ein gedrucktes Magazin mit Kreuzworträtsel (Hauptgewinn: Reise nach Berlin)? Ulrich Kelber gefällt das!

Wie geht es nun weiter?

Kelber hat dem BPA eine Frist von vier Wochen gesetzt, die Fanpage der Bundesregierung bei Facebook zu entfernen. Offiziell erklärte eine Sprecherin der Bundesregierung:

„Das Bundespresseamt wird den Bescheid eingehend und sorgfältig prüfen. Auf Grundlage dieser Prüfung werden wir innerhalb der vom Bundesdatenschutzbeauftragten gesetzten Frist über die nächsten Schritte entscheiden. Der Facebook-Auftritt ist ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, an dem wir zunächst bis zum Abschluss der genannten Prüfungen festhalten werden. Die Sozialen Medien ermöglichen einen unmittelbaren und schnellen Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürger, der gerade in Krisenzeiten besonders wichtig ist, nicht zuletzt auch um Desinformation entgegenzuwirken – da wo sie entsteht. Die Bundesregierung setzt sich für eine möglichst datenschutzfreundliche Ausgestaltung der Sozialen Medien ein. In dem Verfahren des Bundesdatenschutzbeauftragten geht es um die Klärung grundsätzlicher, komplexer Sach- und Rechtsfragen zum europäischen Datenschutzrecht, die im Ergebnis jeden Betreiber einer Facebook-Seite in der EU betreffen können: nicht nur staatliche Stellen, sondern auch private Unternehmen. Das Bundespresseamt wird sich an diesem Klärungsprozess beteiligen.“

Prognose: BPA klagt gegen Datenschutzbeauftragten bis er weg ist

Das BPA sollte sich den Kelber-Übergriff nicht gefallen lassen. Und meine Prognose ist: Das BPA wird sich das auch nicht gefallen lassen. Gegen den Kelber-Bescheid, so die Rechtsbehelfsbelehrung, „kann innerhalb eines Monats Klage bei dem Verwaltungsgericht Köln erhoben werden“. Regierungssprecher Steffen Hebestreit (und seine Leute) sind schlau und wissen: So ein Verfahren geht durch mehrere Instanzen und zieht sich über einige Jahre. Es hat „aufschiebende Wirkung“, was bedeutet: Die Facebook-Fanpage der Bundesregierung bleibt so lange online. Die Amtszeit des Datenschutzbeauftragten endet 2024. Dann hat der Bundestag wieder die Wahl.

3 Antworten

  1. Danke, lieber Georg. Wir leben in einem Irrenland. Angeblicher Datenschutz versus Information. Gut, dass ein Rechtsstreit aufschiebende Wirkung hat und dieser Wahnsinn nicht umgesetzt wird.

  2. Es gab schon bei der Einführung der DSGVO den Witz: Fragt ein GF den anderen „kennst Du einen guten Anwalt für die DSGVO?. Antwort: „Ja“. Frage: „Gibst Du mir seine Kontaktdaten?“ Antwort: „Nein.“
    Das beschreibt die Lage in den Unternehmen gerade sehr gut: Die DSGVO ist kein Instrument, um die User:innen zu schützen, sondern eines, um den Unternehmen massive Probleme zu machen. Was dafür an Zeit, Geld und Ressourcen aufgewendet werden muss, ist vollkommener Irrsinn. Und das, ohne einen nennenswerten Mehrwert für die Nutzer:innen, denen die meisten Regelungen vollkommen egal sind.

  3. Ganz Ihrer Meinung, lieber Georg Streiter, auch ich habe gegen diesen „Datenschutz-Irrläufer“ schon viel Engagement aufgebracht, offenbar vergeblich, da festgefahren. Aber ja, es bleibt zu hoffen, dass der BT 2024 diesem „Irrläufer“ ein Ende setzt. Danke für den guten Kommentar! Viele Grüße, Tilman Seeger

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