Grob falsch: Wie „Bild“ versucht, den Virologen Prof. Drosten zu vernichten

UPDATE vom 11.9.2020 am Ende des Beitrags!

Beinahe die Hälfte meiner 34-jährigen Tätigkeit als Journalist habe ich bei „Bild“ und „Bild am Sonntag“ gearbeitet. Daher lasse ich mich nicht von Leuten vereinnahmen, die „Bild“ schon immer und sowieso schrecklich finden. Aber deshalb tut es umso mehr weh, zu beobachten, wie der aktuelle Chefredakteur mit einer Handvoll gläubiger Jünger seit März 2018 die gute Arbeit der Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen ruiniert. Heute mal wieder am Start: Filipp Piatov, der im Impressum als Ressortleiter für „Meinung“ ausgewiesen ist. Verfolgt man seine Machwerke über längere Zeit, kommt man schnell darauf, was wohl seine Aufgabe ist: Piatov ist nicht dafür zuständig, verschiedenen Meinungen im Blatt Raum zu geben, sondern ausschließlich dafür, die Meinung des Chefredakteurs durchzusetzen.

Nun will Piatov also Professor Christian Drosten zur Schlachtbank führen und präsentiert uns heute die Schlagzeile: „Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht – Kollegen von Star-Virologe Prof. Drosten räumen Fehler ein“.

Selbst wenn man die nur als niederträchtig zu bezeichnenden „Recherche“-Methoden von Herrn Piatov ignoriert (darüber ist schon ausreichend geschrieben worden), bleibt festzustellen: Diese Schlagzeile ist durch nichts belegt. Durch gar nichts!

Wenn Herr Piatov auch nur einen Hauch Ahnung hätte vom Boulevard-Journalismus, dann wüsste er: Was in der Schlagzeile steht, sollte auch im Text stehen. Da steht es aber nicht.

Da steht nur die von Herrn Piatov selbst aufgeworfene Frage: „Sind unsere Schulen und Kitas dicht, weil Drosten sich verrechnet hat?“ Fragezeichen! Im Ernst?

Auch für die Behauptung, in Drostens Forscherteam seien „Fehler bereits eingeräumt“ worden, findet sich im Text nicht der Hauch eines Beleges. Die Quelle sind „BILD-Informationen“. Wenn man aber jemanden so an die Wand nagelt, dann sollte man schon die Karten auf den Tisch legen.

Ich habe von Virologie keine Ahnung, aber von Journalismus durchaus. Ob Prof. Drosten immer alles richtig macht, weiß ich nicht. Aber ich bin mir ganz sicher, dass Prof. Drosten seinen Beruf weitaus besser kann als Herr Piatov seinen.

Der hat auch überhaupt nicht begriffen, wie Wissenschaft funktioniert. Da geht es nämlich kooperativ zu: Wissenschaftler forschen (und wissen nicht schon alles wie Herr Piatov). Sie veröffentlichen und stellen ihre (Teil-) Ergebnisse weltweit zur Diskussion. Dann geht es hin und her – und erst nach einiger Zeit (das kann Jahre oder Jahrzehnte dauern) gibt es eine mehr oder weniger abschließende wissenschaftliche Erkenntnis.

Einen Piatov-Text dagegen kann man in 20 Minuten dahinrotzen. Egal, ob man Ahnung hat oder nicht. Egal, welchen Schaden man damit anrichtet. Egal, wen man gerade hinrichtet.

Es ist übrigens nicht das erste Totalversagen von Filipp Piatov: Im Februar 2018 fiel er auf einen „Titanic“-Mitarbeiter rein und schrieb – gegen massive Bedenken in der Redaktion – eine große Titelgeschichte über eine „Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD“. Piatov veröffentlichte damals angebliche kompromittierende E-Mails von Juso-Chef Kevin Kühnert, die sich im Nachhinein als Fälschungen entpuppten. Selbst als die Geschichte schon öffentlich in Zweifel gezogen wurde, twittere Piatov noch: „Liebe Kritiker der Kühnert-Titelgeschichte, es handelt sich bei den E-Mails nicht um eine „plumpe Fälschung“. BILD bekam Zugang zur Mail des Informanten. Mehr im Artikel. …“

Bei aller Kritik am „Head of Opinion“ (Piatov-Selbstdarstellung im Netzwerk LinkedIn) darf man natürlich nicht vergessen, wer dafür die Verantwortung trägt. Das ist Julian Reichelt, der „Vorsitzende der Chefredaktionen“.

Es ist wie bei Hundebesitzern: Das Problem befindet sich in der Regel am oberen Ende der Leine.

Die „Bild“-Schlagzeile vom 26. Mai 2020. Stramm behauptet, durch absolut nichts belegt
Der Umlauftext auf Seite 2. Grob falsch ist nur, dass es keinen Beleg für die Schlagzeile gibt.
Der Autor hat nur Fragen, keine Antworten (wie auf der Titelseite vorgetäuscht)

update 11. September 2020:

„Mehrere schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht“

Pressemitteilung Deutscher Presserat vom 11. September 2020

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Newsletter

Newsletter abonnieren und keinen Beitrag mehr verpassen!

Newsletter

Keine Beiträge mehr verpassen!

Sie können sich jederzeit abmelden, indem Sie auf den Link in der Fußzeile der E-Mails klicken.