Breschnew und die Hand am Bein der Präsidentengattin

In der vergangenen Woche erinnerte der „Spiegel“ an seine Titelgeschichte vom 13. Dezember 1971 über „Bonns Partner Breschnew“ – damals eine ziemlich sensationell ausführliche Geschichte über Leonid Breschnew, den mächtigen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Von 1964 bis zu seinem Tod 1982 einerseits harter Gegenspieler des Westens im Kalten Krieg, der seine Soldaten 1968 in die aufmüpfige Tschechoslowakei und 1979 in Afghanistan einmarschieren ließ. Andererseits Partner des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt für dessen Entspannungspolitik der 1970er Jahre, die sich für die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 letztlich als starkes Fundament erwies.

Breschnew stand für die Generation der Greise, die in Moskau an der Macht war, und den Niedergang der Sowjetunion. Und erfüllte als „lebensfroher Apparatschik“ alle Klischees, über die man im Westen über die Ost-Bonzen seine Witze riss: Dicke West-Autos und Wodka als Wasser-Ersatz verbunden mit einem rustikalen Charme.

Zweimal besuchte Breschnew die Bundesrepublik: 1973 und – dann auch als Staatsoberhaupt – 1978 kam er in die damalige Bundeshauptstadt Bonn. Beide Besuche waren politisch wichtig, aber für die Gastgeber eine Herausforderung.

1973 schenkte Bundeskanzler Willy Brandt dem Autonarren Breschnew einen Sportwagen, stellte ihm einen Mercedes-Benz 450SLC vor seine Nobel-Unterkunft auf dem Petersberg bei Bonn. Der Kreml-Chef war so begeistert, dass er den chicen Flitzer gleich einmal testete und die kurvige enge Straße Richtung Rhein herunterbretterte. Ob er nüchtern war, ist nicht überliefert. Er fuhr aber offenbar deutlich zu schnell, rauschte in den Wald. Breschnew blieb unverletzt. Das Auto war Schrott. Diese Geschichte ist Zeitzeugen meines Alters bekannt.

Eher unbekannt sind zwei Details über Breschnews zweiten Besuch in Bonn im Mai 1978. Weil er mittlerweile auch Staatsoberhaupt der Sowjetunion war, stand ihm das ganz große Protokoll zu: Staatsempfang auf Schloss Augustusburg in Brühl bei Bonn.

Staatsempfang im Mai 1978 für Leonid Breschnew auf Schloss Augustusburg in Brühl bei Bonn. V.l.n.r.: Bundeskanzler Helmut Schmidt, Bundespräsident Walter Scheel, Leonid Breschnew, Mildred Scheel, Außenminister Andrei Gromyko. Zwischen Breschnew und Mildred Scheel steht Dolmetscher Iwan Kurpakow, der noch bis zu den ersten Jahren von Wladimir Putin im Dienst war. – Foto: Imago/Sven Simon

Die Gastgeber ahnten, dass es mit Gesundheit von Breschnew – mittlerweile 72 Jahre alt – nicht mehr zum Besten stand. Er war Kettenraucher und trank Wodka aus Wassergläsern – über die Jahre bleibt das nicht ohne Spuren. Aber so ganz genau wussten sie es nicht. Erst 1992 berichtete Valentin Falin, von 1971 bis 1978 sowjetischer Botschafter in Bonn: „Breschnew war zu jener Zeit ein politischer Leichnam, genauer: ein physischer Leichnam.“

Das alles blieb den Gästen des Staatsempfangs am Abend des 4. Mai 1978 zunächst verborgen. Zwar wurde spekuliert, was das „russische Tafelwasser“ für Breschnew wohl sein möge. Aber den ersten Zwischenfall gab es dann schon nach der Vorspeise (Gänseleber), wie Knut Bergmann in seinem lesenswerten Buch „Mit Wein Staat machen“ beschreibt: „Bedauerlicherweise kam der Fisch verkocht auf den Tisch, weil der Gast protokollwidrig seine Tischrede nach der Vorspeise zu halten beliebte. Der Seewolf musste daher von den Vorlegeplatten wieder zurück in den Topf befördert werden. Immerhin war wegen der Programmänderung ihr Initiator noch so nüchtern, dass er seine Rede unfallfreihalten konnte.“

Leonid Breschnew hält beim Staatsempfang 1978 seine Tischrede zu früh – der eigentlich jetzt geplante Fischgang des Festessens musste nochmal in den Topf und verkochte. Im späteren Verlauf kam es zum Schreckmoment für Mildred Scheel (vorn rechts): Eine Hand tastete an ihr Bein. Es war ein russischer Arzt, der unter der Festtafel herumkroch. Er sollte Breschnew diskret eine „Aufbauspritze“ geben.

Im späteren Verlauf des Abends kam es zu einem Zwischenfall, der einer Hollywood-Komödie entstammen könnte: Mildred Scheel, Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel, spürte plötzlich eine Hand an ihrem Bein. Sie bemühte sich, Contenance zu wahren, hob mit der Hand die Tischdecke an und entdeckte einen Mann, der unter der langen Festtafel herumkroch. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen russischen Arzt handelte. Seine Mission es war, seinem mittlerweile etwas schwächelnden Staatschef eine „Aufbauspritze“ ins Bein zu jagen. Mildred Scheel hat dies später Journalisten erzählt.

Spätestens seit dem Jahr 2000 gibt es solche Geschichten nicht mehr. Seitdem hat Wladimir Putin in Moskau das Sagen. Er lebt weitgehend abstinent, zeigt lieber seinen nackten Oberkörper beim Reiten und Angeln.

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