Zart und zackig: Der Chef des Stabsmusikkorps

Nach dem denkwürdigen Großen Zapfenstreich für Bundeskanzlerin Angela Merkel steht noch eine Frage im Raum: Wer war eigentlich die zweitwichtigste Figur des Abends? Der Mann, der das sehr hart wirkende militärische Ritual mit weichen Klängen auch für Zivilisten so geschmeidig macht? Es ist Oberstleutnant Reinhard Martin Kiauka, seit 2014 Leiter des Stabsmusikkorps der Bundeswehr. Ein sehr bemerkenswerter Mann: Zackiger Soldat und zartfühlender Musiker zugleich.

Als Soldat repräsentiert er vor den Präsidenten und Regierungschefs der Welt die Streitkräfte der Bundesrepublik, erweist ihnen die protokollarisch präzise festgelegten „militärischen Ehren“.

Als Vollblutmusiker lässt er die immer gleichen Märsche und Hymnen als immer neue kleine Kunstwerke erklingen. Und wenn die Serenaden vor dem Großen Zapfenstreich, der höchsten militärischen Ehre für Zivilpersonen, den militärischen Akt zum Wunschkonzert machen, steigert sich der drahtige Dirigent zur Höchstform. Man spürt: Für den Stabsoffizier ist die Musik der Lebensinhalt. Nicht nur im Dienst – dazu später mehr.

Ein privates Video von mir: Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr mit Oberstleutnant Reinhard Kiauka voran beim Einzug in den „Ehrenhof“ des Bundeskanzleramts Berlin. Hinter dem Stabsmusikkorps marschiert das Wachbataillon ein. Diese Konstellation der Ehrenformation repräsentiert alle drei Waffengattungen (Heer, Marine, Luftwaffe) der Bundeswehr, weil am 29.Oktober 2014 ein Staatspräsident (und nicht „nur“ ein Regierungschef) mit militärischen Ehren empfangen wurde: Michel Joseph Martelly, Präsident der Republik Haiti. Der Marsch, den das Stabsmusikkorps spielt, heißt „Preußens Gloria“, komponiert von Johann Gottfried Piefke (1815-1884).

Kiauka wurde 1967 in Köln geboren, sein erstes Instrument war die Blockflöte. Dann klimperte er auf dem Klavier seines älteren Bruders, bis seine Eltern ihm Klavierunterricht vermittelten. Später lernte er auf der Musikschule noch Posaune dazu und entschloss sich nach dem Abitur, Militärmusiker zu werden – zur Freude seiner Eltern: „Meine Mutter hatte eine starke musikalische Ader, mein Vater war Soldat. Ich habe beides verbunden, das war für meine Eltern ein Traum.“ Von 1989 an studiert er als Soldat an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf in der Dirigierklasse und der Klavierklasse, legt 1994 sein Kapellmeisterexamen 1994 mit Auszeichnung ab.

Während seiner Musikausbildung lernte Kiauka auch seine Ehefrau Sabina vom Dorff kennen, die Klavier und Gesang studierte. Seit 1991 treten die beiden – bis heute – in seiner Freizeit gemeinsam in unterschiedlichen Konstellationen auf. Mal als Klavierduo („Auf vier Händen durch die musikalische Welt“), mal als Gesangsduo: Er am Klavier, sie als Sopranistin. Als Klavierduo waren sie Preisträger bei internationalen Musikwettbewerben in Stresa und in Neapel.

Musik im Dienst, Musik auch nach Dienst: Seit 30 Jahren treten Reinhard Kiauka und seine Frau Sabina vom Dorff gemeinsam auf.

Ihr Sohn – das ist nun keine Überraschung – spielt Pauke und Cello, trat mit dem Opernkinderorchester der Staatsoper Unter den Linden in Berlin auf, gewann 2017 den 1. Preis im Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ in der Kategorie „Drumset (Pop)“.

Reinhard Kiauka, der u.a. auch von 1995 bis 1998 das Kammerorchester des Musikkorps der Bundeswehr leitete, verlangt von seinen Musikern mehr als Tschingderassabum: „Gute Musik lässt sich nicht befehlen. Der Funke springt nur dann zum Publikum über, wenn jeder einzelne Musiker mit persönlichem Engagement und mit Herz und Seele bei der Sache ist.“

Vor zwei Jahren hat Reinhard Kiauka „Van“, einem Online-Magazin für klassische Musik, ein ausführliches Interview gegeben.

In einem sehr lesenswerten Interview mit „van“, einem Online-Magazin für klassische Musik, macht Kiauka deutlich, dass er stets versucht, auch bei den protokollarisch festgelegten Stücken seine Dirigentenpersönlichkeit zu zeigen: „Beim Großen Zapfenstreich zum Beispiel ist zwar die Abfolge festgelegt, aber es schlägt kein Metronom dazu. Oder nehmen Sie den berühmten Choral Ich bete an die Macht der Liebe. Den muss ich gestalten, die Melodien erblühen lassen. Da spielt sich ganz schön viel ab. Oder wenn Sie an die Nationalhymne denken: Die kann man so oder so spielen. Jeder Dirigent drückt ihr seinen Stempel auf ohne das Notenmaterial zu verletzen. Im Grunde ist die Frage: Wie viel künstlerische Freiheit ist mit exaktem Militär zu vereinen? Das sind zwei Welten, die sich befruchten und man kann da wunderbar kombinieren. Ich kann mich gut selbst verwirklichen, auch wenn man das vielleicht nicht erwartet.“

Es gibt wohl kaum eine Nationalhymne der Welt, die Kiauka noch nicht dirigiert hat. Die anspruchsvollsten, sagt er, sind die Hymnen aus Südamerika: „Die sind wie kleine Opernouvertüren mit Tempowechseln, stellen technische Herausforderungen. Da ist man froh, wenn die nicht bei minus 2 Grad im Winter kommen. Da frieren den Holzbläsern nämlich die Finger und den Blechbläsern die Ventile ein. Südamerikanische Hymnen können schon mal fünf Minuten lang sein. Da sage ich dem Wachbataillon immer: Heute müsst ihr lange grüßen!“

Mit einem derart empathischen wie vielfältigen Dirigenten an der Spitze ist es kein Wunder, dass nicht nur die preußischen Märsche an sich, sondern auch das Stabsmusikkorps der Bundeswehr Weltruf hat. Im November 2019, kurz bevor Corona das Kulturleben so gut wie lahm legte, wurden die Musiker aus der Berliner Julius-Leber-Kaserne zu einer Militärmusik-Show nach Japan eingeladen und zeigten, was man mit Marschmusik so alles anstellen kann. Eine Menge.

November 2019: Auftritt des Stabsmusikkorps der Bundeswehr unter Leitung von Reinhard Kiauka bei einem Militärmusikfestival in Japan.

P.S.: Wer den Großen Zapfenstreich für Angela Merkel nicht live gesehen hat, kann ihn sich hier noch einmal in ganzer Länge anschauen – ohne Kommentare der Fernsehmoderatoren:

3 Antworten

  1. Herzlichen Dank für diese ausführliche und gelungene Würdigung! Ich konnte den Zapfenstreich im Ausland nicht live verfolgen, mir wurde aber mehrfach berichtet, dass der Live-Kommentar der ÖRR weder gut informiert noch respektvoll gewesen sei.

  2. Eine zauberhafte Geschichte über diesen Dirigenten und Soldaten. Ich habe ihn mehrfach gesehen beim Zapfenstreich und immer überlegt, was dieser Mann für eine Geschichte hat. Nun ist sie endlich aufgeschrieben und so interessant , dass ich sie mit großer Neugier verschlungen habe. Danke für das Kennenlernen von Herrn Kiauka.

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