Das Verfassungsgericht regiert jetzt mit

Der Klimaschutz ist nun da angekommen, wo er hingehört: Ganz oben auf der politischen Agenda. Geschafft haben das nicht etwa die politischen Parteien, sondern das Bundesverfassungsgericht: es hatte vor einer Woche das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für teilweise verfassungswidrig erklärt und Nachbesserungen bis spätestens Ende des Jahres 2022 gefordert. Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl packt SPD und besonders CDU/CSU die nackte Angst vor einem Durchmarsch der Grünen – und nun paukt die Große Koalition in Windeseile eine Reform ihres eigenen Klimaschutzgesetzes durch. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes soll stärker ausfallen als bisher geplant – und vor allem sollen konkrete Klimaschutz-Ziele auch für die Zeit nach 2030 festgelegt werden. Das Verfassungsgericht regiert mit. Und das ist erst der Anfang.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz die REchte künftiger Generationen gestärkt. Foto: Bundesverfassungsgericht / lorenz.fotodesign, Karlsruhe

Das war der Knackpunkt für das Verfassungsgericht: Dass bis 2030 alles einigermaßen geregelt war, für die Zeit danach aber nichts. Dies, so das Verfassungsgericht, schränke die Freiheit künftiger Generationen ein, weil sie nach 2030 „immer dringender und kurzfristiger“ CO2-Reduktionen erbringen müssen: „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“

Dass die Auswirkungen heutiger Politik auf künftige Generationen nun ein entscheidendes Kriterium für die Verfassungsmäßigkeit von Regierungshandeln sind – das ist das Sensationelle an diesem Urteil. Dass unsere Politiker das schon verstanden haben, darf bezweifelt werden. Beim Durchpauken der Präzisierungen des Klimaschutzgesetzes geht es weniger um das Klima, sondern mehr um Machterhalt.

Denkt man das Urteil weiter, fallen einem sehr schnell weitere Politikfelder ein, auf denen die heutige Generation ihre Probleme völlig ungeordnet künftigen Generationen aufbürdet.

Beispiel: Der Bundeshaushalt nach Corona. Die Schulden, die heute aufgetürmt werden, damit uns heute nicht das Geld ausgeht, werden noch in 50 Jahren  von künftigen Generationen zurückgezahlt werden müssen – da sind fast alle, die das heute beschließen, längst tot.

Beispiel: Rente. Schon meine Kinder ahnen, dass es um ihre Altersversorgung nicht gut bestellt sein wird. Aber was ist mit deren Kindern? Und deren Enkeln? Da drückt die Politik sich seit Generationen um eine echte Reform und kommt mit Ausbesserungsarbeiten am bestehenden System durch.

Und bevor jemand übermütig wird: Auch die Grünen, die derzeit so viel Rückenwind spüren, werden mit diesen Fragen konfrontiert werden. Mal eben ein paar hundert Milliarden Euro raushauen für ein ökologisch korrektes Leben – da stellt sich schon die Frage, wer das eigentlich bezahlen soll. Wir nicht, aber unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann weitere Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingehen. Und es wird spannend, ob das Gericht das Schicksal künftiger Generationen weiter so deutlich vertreten wird. Im günstigsten Fall wird die ständige Rechtsprechung des Gerichts dafür sorgen, dass Politiker gezwungen sind, weiter als bis zum nächsten Wahltag zu denken.

2 Antworten

  1. Wenn ich nur das Thema Rente mal in den Raum stelle, dann wäre es Zeit Privilegien von Beamten abzubauen und den Selbstständigen ist es zuzumuten, dass auch sie in das Rentensystem einzahlen. Also alle zahlen in die Rentenkasse ein, so wie in Österreich. Dort ist die Durchschnittsrente inzwischen doppelt so hoch als in der Bundesrepublik, bei kaum höheren Beiträgen. Beim Klimawandel wird es angesichts der dramatischen Geschwindigkeit mit denen wir uns den Negativprognosen nähern ohnehin laufend zu Anpassungen kommen müssen. Dennoch ist das Urteil mehr als wegweisend und im Rahmen der Gewaltenteilung ein Novum. Wenn die Exekutive schwächelt ist es völlig in Ordnung, dass die Judikative mit regiert.

    1. Ich glaube, das „Mitregieren“ war von den Vätern (und Müttern) des Grundgesetzes genau so gewollt. Checks and balances, ohne es so zu nennen. Alle Verfassungsorgane sind aufeinander angewiesen, balancieren sich gegenseitig aus. Was das Rentensystem betrifft: Das ist ein dickes Brett. Man darf nicht vergessen: Wenn mehr Menschen in das Rentensystem einzahlen, haben auch mehr Menschen einen Rentenanspruch. Das riecht nach langen Übergangszeiten, bis alles zusammengewachsen ist. Aber Sie haben völlig recht: Irgendwann muss man mal anfangen. Am besten jetzt.

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