FDP-Generalsekretär (und Minister) ist kein Nebenjob

Er soll die FDP aus dem Umfragetief holen: der neue Generalsekretär Volker Wissing. Doch die großen Hoffnungen, die Parteichef Christian Lindner in ihn setzt, kann er kaum erfüllen – und das gleich aus zwei Gründen.  

Volker Wissing bei seiner Vorstellungsrede auf dem FDP-Parteitag

In einer Sache ist die FDP gerade ganz weit vorn: Wenn die Liberalen sich an diesem Samstag in Berlin treffen, ist dies der erste Bundesparteitag einer deutschen Partei zu Corona-Zeiten, bei dem sich die Delegierten leibhaftig und nicht nur am Bildschirm treffen. Wie es bei weit über 600 Delegierten mit dem Infektionsschutz klappt, werden sich die Generalsekretäre der anderen Parteien ganz genau angucken – und bei gutem Verlauf auch abgucken.

Nicht abgucken werden sich die anderen Parteien dagegen, wie sich die FDP für die Bundestagswahl im kommenden Jahr aufstellt. Denn im Zentrum der Berichterstattung über den Parteitag dürfte kaum der Leitantrag des Parteivorstandes stehen, der nichts weniger als den „Aufbruch vom Jahr der Krisen ins Jahrzehnt des Aufstiegs“ verspricht.

Das Hauptaugenmerk wird auf die wichtigste Personalie gerichtet sein: Volker Wissing wird neuer Generalsekretär und Nachfolger der von Parteichef Christian Lindner ziemlich schäbig geschassten Linda Teuteberg.

Allerdings spricht einiges dafür, dass Volker Wissing wahrscheinlich der falsche Mann zur falschen Zeit ist. Und zwar aus zwei Gründen.

Wissing passt nicht zur Jobbeschreibung

Erstens: Volker Wissing passt nicht wirklich zur Jobbeschreibung. Ein Generalsekretär ist prinzipiell immer etwas zu laut und immer etwas zu aggressiv. Er muss ins Minenfeld laufen, das Feuer auf sich ziehen und den Vorsitzenden schützen. Netter gesagt: Er muss gelegentlich über die Stränge schlagen, muss Parolen austesten, die der Parteichef zur Not wieder einkassieren kann, wenn sie nicht verfangen. Er muss auch gelegentlich polarisieren, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Bei der CDU hat dies in den Achtzigerjahren Heiner Geißler ziemlich perfekt vorgeführt, indem er die politischen Gegner oft bis zur Weißglut reizte.

Der Geißler der FDP hieß Guido Westerwelle: Er war von 1994 bis 2001 Generalsekretär und riss als junger Mann seine Partei mit fulminanten Reden immer wieder aus ihrer Depression nach verlorenen Wahlen. Nicht ganz so gut, aber immer noch gut genug war später Dirk Niebel, der auch gern mal den Holzhammer herausholte, nachdem Westerwelle zum Parteichef aufgestiegen war. Beide zogen provokant die Wut der Gegner auf sich und schweißten so die FDP zusammen. Sie spielten sich die Bälle zu wie es in einer guten Basketballmannschaft läuft: Mal macht der eine den Korb, mal der andere.

Von Volker Wissing ist ungewiss, ob er das Wechselspiel zwischen der seriösen Pflicht und der unterhaltsamen oder auch mal brachialen Kür beherrscht. Er war Richter und Staatsanwalt, wählt seine Worte vorsichtig, war als Finanzexperte der FDP ein Meister der Akten und Zahlen. Es gibt Leute, die sagen ihm nach, er sei kein Erbsenzähler, sondern er poliere die Erbsen. Und sie meinen das wirklich nicht einmal ansatzweise böse. Wer optimistisch sein will, könnte hoffen: Vielleicht wächst der Mann ja im Amt.

Wer einen neuen Job antritt, muss den alten aufgeben

Was aber – zweitens – nicht geht, ist Wissings Plan, sein Amt als Landesminister in Rheinland-Pfalz behalten zu wollen. Macht er das wirklich, kann seine Mission Generalsekretär leider schon jetzt für gescheitert erklärt werden.

Warum? Wenn man einen neuen Job antritt, gibt man seinen alten Job auf. Wissing ist in Rheinland-Pfalz nicht etwa Minister für Gedöns, sondern hat dort eine Schlüsselposition: Er verantwortet das Ressort für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Alle diese Aufgaben sind existenziell für das Bundesland. Und es sind gewaltige Aufgaben, die man nicht nebenher bewältigen kann. Schon zu normalen Zeiten nicht, und schon gar nicht in Corona-Zeiten.

Gleichzeitig ist seine Aufgabe als FDP-Generalsekretär für die Partei von existenzieller Wichtigkeit. Eine Partei, die ein Jahr vor der Bundestagswahl in allen Meinungsumfragen zwischen fünf und sieben Prozent herumkrebst, braucht jemanden, der 24 Stunden am Tag nichts anderes im Kopf hat als die FDP. Nur die FDP.

Eine Partei, deren heilige Ur-Werte „Bürgerrechte“ und „Freiheit“ gerade von vorgeblichen „Querdenkern“ gekapert werden, braucht jemanden, der binnen Minuten vor jede Kamera in Berlin laufen kann, um seine Botschaften zu verkünden.

Der Zeit hat für jede Talkshow, jedes Interview, jede Produktion für Social-Media-Kanäle. Zeit für inhaltliche Abstimmungen, für Lesen von Vorschlägen, für Kontakt mit den Landesverbänden und, und, und.

Der ständig, auch außerhalb der Gremiensitzungen, persönlichen Kontakt hat mit dem Parteivorsitzenden und dem Bundesgeschäftsführer in der Parteizentrale.

Der bis zum nächsten Parteitag im Mai 2021 ein überzeugendes Wahlprogramm vorlegen kann. Oder wie die FDP schon jetzt ankündigt: „Das innovativste Programm aller Parteien zur Bundestagswahl 2021“.

Das ist eine Herkules-Aufgabe – und in einer solchen Lage kann man nicht sagen: Ich komme morgen nach Berlin, weil ich heute in Mainz zu tun habe.

Generalsekretär ist kein Nebenjob. Landesminister ist auch kein Nebenjob.

Ja, auch der zuvor gelobte Heiner Geißler war gleichzeitig Generalsekretär und Minister. Allerdings nur für drei Jahre – und erst 1982, nachdem er bereits fünf Jahre Generalsekretär war und in Bonn maßgeblich zum Machtwechsel von Helmut Schmidt (SPD) zu Helmut Kohl (CDU) beigetragen hatte. Er wurde also mit dem zusätzlichen Amt belohnt. Wissing dagegen will mit dem Doppelamt starten.

Und im Übrigen wäre es in Wissings Fall auch nicht in Ordnung, wenn die rheinland-pfälzische Landesregierung einen Minister dafür bezahlt, dass er in Berlin Parteiarbeit macht.

Eine solche Konstruktion schadet der FDP und nützt ihr nicht. Wie auch immer man es dreht und wendet: Auf der Personalie Wissing liegt kein Segen.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Gastkommentar bei t-online.de

2 Antworten

  1. Das sind in der Tat die „wunden Punkte“ einer sehr unglücklichen Personalentscheidung von Herrn Lindner, lieber Herr Streiter. Ich verstehe auch nicht, weshalb Herr Wissing mehr für eine Öffnung der FDP zur SPD stehen soll als Linda Teuteberg. Allein der Umstand, dass er Minister in einer SPD geführten Landesregierung ist und mit Malu Dreyer ganz ordentlich zusammenarbeitet, reicht jedenfalls mir nicht aus. Außerdem gilt Linda Teuteberg nun nicht gerade als profilierte Gegnerin einer Öffnung zur SPD. Wie auch immer: Seit dem Bundesparteitag vom Wochenende, auf dem Lindner gegenüber einer verdienten Generalsekretärin noch einmal mit einem ziemlich billigen und im übrigen wirklich schäbig inszenierten Altherrenwitz nachgelegt hat, dürfte in der FDP die Zahl seiner Kritiker nochmal deutlich größer geworden sein…

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