Wenn Journalisten irgendwo gemeinsam herumsitzen und warten – und sie müssen oft und lange warten -, dann machen sie das, was sie am besten können: Geschichten erzählen und gern ein bisschen dabei angeben. So eine Art Angler-Latein für Reporter. Je jünger man ist, desto schlechtere Karten hat man natürlich, denn die älteren Kollegen haben viel mehr erlebt und können viel besser angeben. Mit zunehmendem Alter werden dann die Erinnerungen an die Erlebnisse immer größer, wichtiger und toller.
Seit April 2005 habe ich natürlich immer einen Angeber-Trumpf ziehen können. Wenn es ganz dick kam, konnte ich immer kontern: Und ich habe die Schlagzeile „Wir sind Papst!“ gemacht. Das hat immer gut funktioniert.
Aber auch vorher hatte ich bei solchen Gelegenheiten ein unschlagbares Angeber-As im Ärmel: Ein Foto, auf dem der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer und ich zu sehen sind. Wirklich? Ja! Hier:
Dieses Foto entstand am 5. Januar 1967 im St.-Elisabeth-Krankenhaus in der Prinz-Albert-Straße 40 in Bonn. Adenauer, seit Oktober 1963 Ex-Kanzler, hatte sich dort einem mehrtägigen medizinischen Checkup unterzogen und wurde an seinem 91. Geburtstag entlassen.
Im Foyer des Krankenhauses hatten wir uns aufgebaut: Der Schulchor des Beethoven-Gymnasiums unter der Leitung von Musiklehrer Hans Heinemann. In der Stimmgruppe Alt: Georg Streiter (roter Pfeil), damals elf Jahre alt. Wir waren natürlich ziemlich nervös. Solche Situationen führten damals bei mir regelmäßig dazu, dass ich entweder verlegen nach unten schaute oder sinnlos mit der Hand in meinem Gesicht herumfummelte.
Die Tür ging auf, Adenauer kam, und wir schmetterten: „Viel Glück und viel Segen auf all‘ Deinen Wegen!“ Er hörte sich das an, winkte, und rief uns mit seiner schon etwas brüchigen Stimme fröhlich zu: „Danke, Kinder, danke!“ Und verschwand mit seiner Entourage (die damals ziemlich finster dreinschaute) mit einer kleinen Kolonne dicker Mercedes-Wagen.
Gut drei Monate später, am 19. April 1967, starb „der Alte“, wie Adenauer damals liebevoll genannt wurde. Aufgeregte Zeitungsverkäufer liefen durch Bonn und verkauften „Extra“-Blätter. Ich weinte im Bus still vor mich hin. Ja: Damals haben die Leute geweint, wenn ein wichtiger Politiker gestorben war.
4 Antworten
Großartige Geschichte, Georg Streiter. Danke fürs Erzählen. Bitte gib weiter an. Es macht große Freude, Dir lesend zuzuhören. Viel Glück und viel Segen…
Meine Güte, ja: so war es! Der „grosse Bruder“, schon damals und heute immer noch vier Jahre älter Du, war im St.-Elisabeth-Krankenhaus auch dabei, nach dem Stimmbruch im Bass. Klitzekleine Ergänzung: „der Alte“ fügte noch jovial hinzu „bis zum nächsten Mal!“ Das gab es dann leider nicht mehr. Aber so eine Begebenheit vergisst man einfach nicht – unvergessen auch Lehrer Hans Heinemann, bei dem wir einmal pro Woche in der Arbeitsgemeinschaft Musik die Grundlagen der Harmonielehre und des Kontrapunkts lernten.
Wunderbare Geschichte und sehr elegant geschrieben! Ja, solche Begegnungen vergisst man nicht. Bei mir war es Franz-Josef Strauß, der bei uns daheim an einem Sonntagmorgen anrief und mich, die ich den Hörer abgehoben hatte, fragte: „Bist Du die, die Latein lernt?“ Ich war gerade aufs Gymnasium gekommen und hatte, um meinem seit dem fünften Lebensjahr gehegten Berufswunsch Tierärztin einen Schritt näher zu kommen, Latein als erste Fremdsprache gewählt. Mein Vater hatte Strauß während einer Wahlkampftour davon nebenbei erzählt und er war nett genug, eine Zehnjährige darauf anzusprechen, mehr noch: er forderte mich zum gemeinsamen Deklinieren von Agricola auf. Er fände es toll, dass ich Latein lerne, sagte er und fügte an: „Und jetzt weckst Du den Papa!“
Ja, nach „the Day John Kennedy died“ war der Todestag Adenauers das zweite Mal in meiner Kindheit, dass ich das Ableben eines Politikers nicht nur als pflichtschuldiges Bedauern der Staatsmächtigen erlebte, sondern als echte Trauer der Menschen, der Bürger.