Helmut Schmidt: Sein erstes Interview als Alt-Kanzler

Das erste Interview mit Helmut Schmidt nach seiner Entmachtung durch Helmut Kohl im Oktober 1982 – darauf waren hunderte Korrespondenten in Bonn scharf. Schmidt aber zog sich auf seinen Posten als Herausgeber der „Zeit“ in Hamburg zurück und lehnte jahrelang jede Interview-Anfrage ab. Es wurden Wetten abgeschlossen, wer ihn als erster „knacken“ würde, und große Namen gehandelt. Einen hatte niemand auf dem Zettel – und das war ich. Wie ich Helmut Schmidt dann „knackte“, ist eine lustige Geschichte.

Über ein Jahr lang habe ich auf den richtigen Moment gewartet und dabei gezielt Kontakte aufgebaut zu Marianne Duden, Schmidts Sekretärin im Bonner Altkanzler-Büro, und seinem damaligen Büroleiter Michael Bürsch. Aber alle Blumensträuße und Kaffee-Einladungen halfen nicht: Helmut Schmidt wollte einfach nicht. Und so ein Boulevard-Blatt wie der „Express“ war aus seiner Sicht sowieso weit unter seiner Würde.

Den entscheidenden Tipp bekam ich schließlich von meinem Freund Richard Schulze-Vorberg, der damals in Bonn einer der bekanntesten und besten Fotografen war (und leider viel zu früh gestorben ist): Helmut Schmidt plante, seinen langjährigen Mitarbeiter Alexander Vogelgsang zu unterstützen. Der kandidierte 1986 in Böblingen für das Amt des Oberbürgermeisters, war seinem Kontrahenten von der CDU mit 45,3% im ersten Wahlgang knapp unterlegen und stand nun vor der entscheidenden Stichwahl. Helmut Schmidt entschloss sich, nach Böblingen zu fahren, Richard Schulze-Vorberg hatte das mitbekommen und mir erzählt. Also machte auch ich mich auf den Weg nach Böblingen. Da wollte ich ihn abfangen und ansprechen.

Wahlkampfauftritt in Böblingen

Helmut Schmidt kam in das Gerätehaus der Feuerwehr Böblingen, es war knackevoll und alle waren natürlich begeistert, dass der große Weltpolitiker in die kleine Stadt gekommen war. Er sprach eine gute Viertelstunde, spannte Fäden zwischen der großen Weltpolitik und dem Böblingen. Dank „YouTube“ ist diese kurze Rede sogar heute noch zu sehen, in einem privaten Film über den Wahlkampf von Alexander Vogelgsang (ab Minute 30:00):

Ab Minute 30:00: Helmut Schmidt im Februar 1986 im Feuerwehrgerätehaus in Böblingen
Alexander und Andrea Vogelgsang mit Helmut Schmidt beim Wahlkampftermin 1986

Es war schwer, an ihn heranzukommen, denn natürlich wurde Helmut Schmidt um Autogramme bedrängt. Ich habe mich ihm dann einfach in den Weg gestellt – und endlich konnte ich meine Bitte um ein Interview für den „Express“ loswerden. Er wollte das Problem mit einer lässigen Antwort aus der Welt schaffen und sagte mir: „Wie Sie wissen, bin ich ja jetzt angestellt. Da müsste ich erstmal meine Chefin fragen!“ Sprach‘s, drückte mir die Hand und war weg.

Eine Eitelkeits-Falle für Helmut Schmidt

Helmut Schmidt? Fragen? Chefin? Was für ein Hund! Das fand ich ein bisschen plump und setzte mich nach meiner Rückkehr in Bonn noch gleich hin und schrieb ihm einen Brief: Danke für die freundlichen Worte – und ob ich ihm denn zumuten dürfe, seine Chefin zu fragen, ob er mir ein Interview geben dürfe. Ich wollte ihm eine Eitelkeits-Falle stellen. Denn dass der große Helmut Schmidt die große „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff fragen würde oder fragen müsste, ob er mir ein Interview geben dürfe – das schien mir absurd.

Es dauerte genau zwei Tage, bis ich meine Zusage hatte. Schmidt schrieb mir einen Brief, in dem sinngemäß stand: Da haben Sie wohl etwas missverstanden. Ich muss überhaupt niemanden fragen. Stimmen Sie mit meinem Büro einen Termin ab. Marianne Duden, seine Sekretärin rief mich an und lachte sich kaputt, wie ich „den Chef“ geknackt hatte.

Zwei Wochen später, am 13.März 1986, saß ich dann – endlich! – bei Helmut Schmidt im Büro. Als Fotograf hatte ich natürlich Richard Schulze-Vorberg mitgebracht, den Helmut Schmidt anwies: Bitte keine Fotos, wenn ich rauche. Sonst ruft mich mein Arzt wieder an, und ich bekomme Hunderte Briefe, dass ich es sein lassen soll.

13. März 1986 im Bonner Bundestagsbüro von Helmut Schmidt

Er nahm sich über eine Stunde Zeit, es ging um die große und kleine Politik. Dafür, dass ich innerlich etwas angespannt war, ist es ein sehr gutes Interview geworden. Aber ich hatte mich gut vorbereitet. Und ich hatte einen Interview-Partner, der noch mehr rauchte als ich.

Nur die erste Frage war mit Helmut Schmidt abgesprochen, denn er wollte keine Lawine von Interview-Anfragen lostreten:

Warum haben Sie sich aus der Tagespolitik so völlig zurückgezogen?

„Um ein Beispiel zu geben, dass die politischen Führungsfiguren in unserer Republik wissen, wann ihre Zeit zu Ende ist. Abgesehen davon ist es für mich auch angenehm, nach 33 Jahren hauptamtlicher Politik wieder ein privater Mensch zu sein. Wenn ich Ihnen trotz meines Rückzugs aus der Politik noch ein Interview gebe, bitte ich das als Ausdruck besonders guter Laune aufzufassen.“

Das Interview hat natürlich großes Aufsehen erregt. Das erste Interview mit Helmut Schmidt nach dem Machtverlust, das war ein Wert an sich – und alle Kolleginnen und Kollegen nicht nur in Bonn rieben sich verwirrt die Augen, als ausgerechnet der „Express“ es in zwei Teilen abdruckte. Es wurde in den Fernsehnachrichten und vielen Zeitungen zitiert.

Ja – und der Einsatz in Böblingen hat sich nicht nur für mich ausgezahlt, sondern auch für Helmut Schmidts Mitarbeiter Alexander Vogelgsang. Er gewann die Stichwahl, wurde Oberbürgermeister von Böblingen und blieb es 24 Jahre lang. 2010 wurde er Ehrenbürger seiner Stadt.

Und was lehrt uns die Geschichte? Ein Journalist sollte viel Geduld haben und darf nie aufgeben.

„Express“ vom 20.März 1986
„Express“ vom 21.März 1986

5 Antworten

  1. Lieber Georg Streiter,

    mein Vorname ist auch Georg und meine Frau meint der Nachname „Streiter“ würde besser zu mir passen wie das „kleinbürgerliche“ Schmitt. Nach dem ich an meine Tochter (beim NDR in Hamburg) den Morning Brief von Gabor Steingart vom 6.10.2021 weitergeleitet hatte, hat diese mir Ihre Replik auf den Text von G. Steingart geschickt. Dadurch bin auf Ihre Homepage gelangt, und bei dem Interviewe mit Helmut Schmidt aus dem Jahre 1986 „hängen“ geblieben.

    Aber zurück zu Gabor Steingart, dessen Morning Brief ich seit dessen „Rausschmiss“ bei dem Handelsblatt regelmäßig überfliege. Was er zu Armin Laschet schrieb fand ich zwar wie so oft deutlich übertrieben aber im Kern zutreffend. Aber wie heißt es so zutreffend „in der Übertreibung liegt die Macht der Darstellung“. Jedenfalls habe ich durch Ihre Darstellung auch einmal die andere Seite des Gabor Steingart kennen gelernt. Vielen Dank.

    Beste Grüße aus Limburg

    Georg Schmitt

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