Friedrich Merz – der letzte Mann vom „Anden-Pakt“

Im Schatten der Corona-Krise und der Bildung der neuen Ampel-Koalition ist der große Wahlverlierer, die CDU, ein bisschen in Vergessenheit geraten. Zum dritten Mal in drei Jahren (das konnte bisher nur die SPD) sucht sie einen neuen Vorsitzenden. Und wie es aussieht, hat der bereits zweimal gescheiterte Friedrich Merz im Moment bessere Chancen als seine zwei Gegenkandidaten Helge Braun und Norbert Röttgen.

Das liegt zum einen daran, dass Merz aus seinen Niederlagen gelernt zu haben scheint und an seiner Teamfähigkeit gearbeitet hat. Zum anderen hat sich seine Arbeitsplatzbeschreibung völlig verändert: Die CDU als Regierungspartei zu führen ist etwas anderes als an der Spitze der größten Oppositionspartei zu stehen. Hat man die Macht verloren, muss man sich nicht nur programmatisch und personell neu aufstellen, sondern auch ordentlich Aufmerksamkeit erzeugen und Krawall machen, um sie vielleicht eines Tages wiederzuerlangen.

Helge Braun zum Beispiel ist ein tief in der CDU verwurzelter Stratege, der jeden kennt und das Zusammenführen und das Strippenziehen ziemlich perfekt beherrscht. Norbert Röttgen versucht es geschmeidig und smart, wird aber die ihm angeklebten Klischees als „Muttis Klügster“ oder „George Clooney der CDU“ nicht los. Braun wirkt effektvoll im Stillen, Röttgen irgendwie nett – aber im Oppositions-Leistungskurs Attacke haben sie ihre Fähigkeiten bisher nicht gezeigt oder zeigen können. Sie waren ja auch in der Regierung.

Friedrich Merz bei seiner offiziellen Vorstellung als Kandidat für den CDU-Vorsitz am 19. November 2021 (Video)

Merz hingegen könnten seine Niederlagen zu seinem persönlichen Sieg führen. Man könnte sogar sagen: Merz kann Opposition, er hat nie etwas anderes gemacht. Warum sollte es diesmal nicht funktionieren?

Sollte Merz im Januar zum neuen Vorsitzenden der CDU gewählt werden, hätte dies auch nebenbei einen parteihistorischen Aspekt. Merz würde als letztes Mitglied des berühmt-berüchtigten „Anden-Pakts“ noch einmal eine herausragende politische Position erringen. Den „Anden-Pakt“ hatten vor 42 Jahren damals hoffnungsvolle CDU-Jungpolitiker geschlossen, um sich beim Streben in wichtige Ämter nicht gegenseitig in die Quere zu kommen.

24 Jahren dauerte es, bis der „Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 30. Juni 2003 erstmals Licht ins Dunkel um den sagenumwobenen und mächtigen „Anden-Pakt“ ehrgeiziger junger CDU-Politiker brachte – BITTE HIER KLICKEN, um den ganzen Bericht zu lesen.

Über den „Anden-Pakt“ wusste man über 20 Jahre lang nichts Genaues. Es gab Gerüchte, Geraune und Indizien. Erst die „Spiegel“-Redakteure Ralf Neukirch und Christoph Schult brachten 2003 Licht ins Dunkel: Am 25. Juli 1979 saß eine Delegation der Jungen Union (JU) ermattet und übermüdet im Nachtflug VA930 von Caracas nach Santiago de Chile. Mehrere Tage hatte sie ihr Delegationsleiter Matthias Wissmann durch Veranstaltungen in Südamerika geschleift. Ihre schlechte Laune bekämpften sie mit Whiskey – und schrieben zu vorgerückter Stunde auf einen Bogen Briefpapier der venezolanischen Fluggesellschaft Viasa: „In Sorge um die hochkarätig besetzte Delegation und zum Schutze der Gesundheit schließen wir uns hiermit zum Pacto Andino Segundo zusammen.“ Das alkoholisierte konspirative Spaß-Bündnis forderte „mehr Ambiente in der Politik“ und versprach sich in die Hand: Kein Mitglied des Andenpaktes wird jemals öffentlich den Rücktritt eines anderen fordern. Zum „secretario General“ wurde der Braunschweiger Wirtschaftsanwalt Bernd Huck ernannt. Der richtete später sogar ein Bankkonto für den „Anden-Pakt“ ein und veranstaltete regelmäßige gemeinsame Treffen und Reisen. Erst, als Huck im Februar 2016 starb, offenbarten sich die Mitglieder des „Anden-Pakts“ zum ersten Mal überhaupt – in einer Todesanzeige.

Traueranzeige für Dr. Bernd Huck, „secretario General“ des Anden-Pakts, in der FAZ vom 20.2.2016

Die Namensliste liest sich wie das Who-is-Who der westdeutschen CDU – und viele haben es tatsächlich zu etwas gebracht, zum Beispiel: Volker Bouffier ist bis heute hessischer Ministerpräsident, sein Vorgänger Roland Koch war auch dabei, Elmar Brok wurde CDU-Legende im Europa-Parlament, Franz Josef Jung Verteidigungsminister, Peter Müller Ministerpräsident im Saarland und Verfassungsrichter, Günther Oettinger Ministerpräsident in Baden-Württemberg und EU-Kommissar in Brüssel, Hans-Gert Pöttering Präsident des Europäischen Parlaments, Matthias Wissmann Verkehrsminister und Chef des Verbands der Automobilindustrie, Christian Wulff Ministerpräsident in Niedersachsen und dann sogar Bundespräsident.

Und jetzt Friedrich Merz CDU-Chef?

P.S.: „Pacto Andino Segundo” bedeutet: Zweiter Anden-Pakt. Der Grund: Zehn Jahre früher, 1969, vereinbarten die südamerikanischen Staaten Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru im Übereinkommen von Cartagena eine regelmäßige regionale Zusammenarbeit. Das Abkommen und die anschließende politische Zusammenarbeit wurden in der Folge als Andenpakt (Pacto Andino) bezeichnet. Der Andenpakt ging 1997 über in die Andengemeinschaft (Comunidad Andina de Naciones, CAN).

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