Offener Kampf gegen Google – und heimliche Cookies

An Minderwertigkeitskomplexen leidet Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. (BDZV) ganz sicher nicht. Aber es gibt Gegner, die selbst ihm ein Gefühl von Machtlosigkeit geben. Das sind die großen Internet-Konzerne Google und Facebook. Gegen die zieht Döpfner zu Felde – aber macht die Erfahrung, dass seine Größe hier den Konkurrenten auf der anderen Seite des Atlantiks völlig egal ist. So versucht er sich ein wenig größer zu machen mit Hilfe der Europäischen Union.

Döpfner hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen langen offenen Brief geschrieben, in seiner „Welt“ veröffentlicht und dabei die ganz große Trommel geschlagen: Die Internet-Giganten, beklagt er, versauen ihm nicht nur das Geschäft, sondern rütteln an den Grundlagen der westlichen Welt: „Es geht darum, dass Technologieplattformen aus Amerika und China im Begriff sind, die Souveränität der Bürger infrage zu stellen, also den Souverän zum Untertan zu machen und damit Demokratie und offene Gesellschaft zu unterminieren. Es geht um Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte. Es geht um die Idee des modernen Europas.“ Nicht weniger!

Springer-Chef Mathias Döpfner am 29. Januar 2021 im „heute journal up:date“

Er beklagt, dass wir alle von Amazon, Google, facebook und Co. dank ihrer Algorithmen und der daraus resultierenden Verhaltensverfolgung („behavioral targeting“) bis unter die Haut ausspioniert werden: „Algorithmen und damit Plattformen wissen nicht nur, dass wir ein neues Sofa wollen und schlagen deshalb vor, welches, sie wissen auch, dass eine Frau wahrscheinlich schwanger ist, bevor sie selbst es weiß. Oder, dass ein Mann schwul ist, bevor es ihm selbst klar ist. Sie wissen es aufgrund unseres Verhaltens. Welche E-Mails wir lesen. Welche Bilder wir uns ansehen. Welche Produkte wir kaufen. Verhaltensmuster, die der Algorithmus aus Daten verlässlicher zusammensetzt und analysiert als jede Ehefrau oder jeder Liebhaber.“ Und Döpfner übernimmt das Wort Überwachungskapitalismus („surveillance capitalism“) von Harvard-Professorin Shoshana Zuboff. Und wirft den großen Internet-Konzernen vor, „ihre Kunden auszuspähen wie Geheimdienste“. Die Menschen würden „zu Marionetten kapitalistische Monopole“.

Als Ausweg fordert Döpfner: „Die Daten müssen nur wieder und endgültig denen gehören, denen sie eigentlich immer gehörten. Den Bürgerinnen und Bürgern. Dem Souverän.“ Und schlägt „eine Art Europäisches Grundrecht“ vor: „Ich appelliere in großem Ernst an Sie: Verhindern Sie die Überwachung der Menschen, indem Sie die Speicherung aller persönlichen privaten sensiblen Daten verbieten. Beschränken Sie damit die Übermacht monopolistischer Plattformen aus Amerika und China.“

Ich glaube Döpfner, dass er sich Sorgen macht. Er artikuliert, was viele Menschen empfinden.

Aber natürlich geht es ihm auch um das eigene Geschäft: „Allein Google und Facebook haben im vergangenen Jahr circa 230 Milliarden Dollar Werbeumsatz erwirtschaftet. Das sind 46 Prozent des weltweiten Werbemarkts. Bis 2024 wird der Marktanteil laut Prognosen auf mehr als 60 Prozent steigen.“ Und leider wird für Axel Springer und die anderen Verlage der Anteil entsprechend sinken.

Döpfner sagt natürlich nicht, dass sein Verlag und die anderen in Deutschland auch sehr trickreich versuchen, ihren Kunden Daten abzuluchsen. Wie exzessiv dies geschieht, hat der Journalist Richard Gutjahr gerade sehr präzise in seinem Blog beschrieben. Sein Beitrag „Der Cookie-Wahnsinn“ offenbart die fast unentrinnbaren Fallen, mit denen die deutschen Verlage auf ihren Online-Portalen unter dem Deckmantel von „Transparenz und Datenschutz“ die Daten ihrer Kunden absaugen: „Egal, welchen Knopf Ihr wählt – Ihr habt keine Chance.“ Gutjahrs Fazit: „Die Cookie-Fallen der deutschen Verlage sind kollektiv darauf ausgelegt, das illegale Sammeln von Daten nicht nur auszuweiten, sondern sogar heimlich zu legalisieren.“

Darüber spricht Dr. Mathias Döpfner nicht. Oder nur, wenn er – wie am 29. Januar 2021 – darauf angesprochen wird. Da konfrontierte Wulf Schmiese im nächtlichen „heute journal up:date“ Döpfner mit dem Cookie-Wahnsinn. Döpfners Konter war nicht ganz so stark wie seine zuvor aufgebaute Kulisse vom Untergang der westlichen Welt: Ja, die Verlage sammeln Daten ihrer Kunden, aber man gehe „nicht in diePrivatsphäre“.  „Wenn zwei etwas ähnliches machen, ist es noch lange nicht das gleiche.“ Natürlich verlor er kein Wort darüber, dass die Verlage den Kunden nur vorgaukeln, eine Wahl zu haben, welche Informationen sie preisgeben möchten.

Damit kein Irrtum entsteht: Selbstverständlich bin auch ich der Meinung, dass Verlage Werbeeinnahmen haben müssen. Nur durch Werbeeinnahmen kann publizistische Vielfalt erhalten bleiben. Aber man muss dann schon etwas ehrlicher sein.

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