Der Verbleib von Julian Reichelt an der Spitze von „Bild“ ist ungewiss. Denn Axel Springer ist mittlerweile ein halb-amerikanisches Unternehmen. In Compliance-Fällen versteht man in den USA keinen Spaß. Schießen die Springer-Amis Reichelt bei „Bild“ ab?
„Es geht um Kokain, es geht um Sex, es geht um Intimitäten, es geht um Emotionen, also es ist ein typisches boulevardeskes Thema“, fasst die Medien-Journalistin Ulrike Simon im Deutschlandfunk die Causa Julian Reichelt zusammen. Der „Bild“-Chef steht im Zentrum eines umfangreichen Compliance-Verfahrens bei Axel Springer. Die Vorwürfe wiegen schwer. Im Mediendienst „Horizont“ schreibt Ulrike Simon: „Es geht dem Vernehmen nach zum einen um angeblichen Drogenmissbrauch, den Reichelt bestreitet, zum anderen um eine Reihe intimer, aber einvernehmlicher Beziehungen, die der Bild-Chef in der Vergangenheit mit Mitarbeiterinnen geführt hatte. Die Frauen, die sich in dem Compliance-Verfahren Anonymität zusichern ließen, behaupten, sich nach dem Ende der Beziehungen von Reichelt unfair behandelt gefühlt zu haben, gar Mobbing ausgesetzt gewesen zu sein.“
Das ist deshalb bemerkenswert, weil Ulrike Simon in ihrer Berichterstattung über Reichelt wie über Axel Springer bisher nicht durch offene Feindseligkeit aufgefallen ist wie andere Medienbeobachter. Im Januar 2019 und im Mai 2020 konnte sie mit Reichelt große Interviews jeweils in einer Phase führen, in der sich Reichelt besonders intensiver Kritik ausgesetzt sah und offenbar ein Mitteilungsbedürfnis hatte. So darf man einen belastbaren Draht zu Reichelt wie zu Springer unterstellen. Daher fällt besonders auf, dass Ihr Bericht für „Horizont“ der erste und bisher einzige ist, in dem ohne literarische oder satirische Verrenkungen über Drogenmissbrauch geschrieben wird.
Springer-Chef Mathias Döpfner und Vorstand Jan Bayer haben den aufgewühlten „Bild“-Mitarbeitern „so viel Transparenz wie möglich“ sowie eine zügige und zugleich sorgfältige Aufklärung zugesichert. Sie wollen „eine unabhängige Aufklärung sicherstellen“, haben deshalb „auch externe Experten“ hinzugezogen – die internationale Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer (2.500 Anwälte).
Julian Reichelt selbst gibt sich siegesgewiss und ist offenbar ziemlich sicher, heil aus dem Compliance-Verfahren herauszukommen. Medien-Redakteur Kai-Hinrich Renner von der „Berliner Zeitung“ schreibt, Reichelt, habe der versammelten „Bild“-Mannschaft in der Redaktionskonferenz gesagt: „Was mir vorgeworfen wird, stimmt nicht!“ Er habe schon „deutlich Schlimmeres“ erlebt und „schon oft genug“ in Situationen gesteckt, bei denen er nicht gewusst habe, ob er „überhaupt wieder zurückkomme“.
Ich bin da mit einer Prognose lieber vorsichtig. Und ziemlich sicher, dass es am Ende nicht nicht allein in den Händen von Mathias Döpfner liegt, wie die Sache ausgeht.
„Bild“ ist die Cash-Cow von Springer und Julian Reichelt dank Ämterhäufung die zentrale Figur im Geschäft: Er ist „Vorsitzender der Chefredaktionen“ und „Chefredakteur“ von „Bild“ und in Personalunion auch noch „Sprecher der Geschäftsführung“ der „Bild GmbH“. Bei einer Personalie von dieser Bedeutung wird auch der Aufsichtsrat ein Wörtchen mitzureden haben. Und da gibt es für Springer völlig neue Unwägbarkeiten.
Springer gehört nämlich mittlerweile rund zur Hälfte zum amerikanischen Unternehmen KKR, das drei Mitglieder des Aufsichtsrats stellt. KKR ist völlig egal, wer Julian Reichelt ist, sondern ausschließlich daran interessiert, dass das amerikanische Milliarden-Investment sich lohnt und Geld abwirft – und zwar absolut störungsfrei.
Bei Schlüsselwörtern wie „Drogenmissbrauch“, „sexuelle Beziehung“ (egal, ob einvernehmlich oder nicht) und „Mobbing“ geraten amerikanische Unternehmensaufseher reflexartig in den Alarmzustand und kriegen Hautausschlag. Bei der „New York Times“ fliegen Leute raus, die 30 oder 40 Jahre dort Stars waren, allein weil sie ein falsches Wort gesagt haben.
Und in der Vergangenheit flogen die Chefs von Unternehmen einer Größe, von der Mathias Döpfner und Julian Reichelt noch nicht einmal träumen:
• 2019 feuerte McDonald’s seinen CEU Steve Easterbrook wegen seiner einvernehmlichen Beziehung mit einem anderen Mitarbeiter.
• 2018 musste Brian Krzanich, der Chef des Chip-Herstellers Intel seinen Schreibtisch räumen, nachdem eine Untersuchung ergab, dass er eine einvernehmliche Beziehung mit einer Mitarbeiterin hatte.
• 2005 feuerte der Flugzeughersteller Boeing seinen Chef Harry Stonecipher wegen „unangemessenen Verhaltens“ während einer einvernehmlichen Beziehung.
„Eine Reihe intimer, aber einvernehmlicher Beziehungen“ bei einem verheirateten Mann mit drei Kindern, so ist zu befürchten, finden amerikanische Aufsichtsräte möglicherweise noch schlimmer als die Ehefrau. Zumal wenn dann noch Mobbing und Drogen dazukommen.
Neben den drei KKR-Aufsichtsräten Philipp Freise, Johannes P. Huth und Franziska Kayser (die sich ehrenamtlich für Frauen einsetzt) sind noch zwei weitere Aufsichtsrats-Mitglieder für Döpfner und Reichelt risikobehaftet: Martin Varsavsky ist u.a. Chef zweier US-Firmen und könnte auch „amerikanisch denken“. Und von Friede Springer ist mehrfach überliefert, dass sie Julian Reichelt eher gar nicht mag. Die drei KKR-Vertreter, Michael Varsavsky und Friede Springer hätten die Mehrheit im neunköpfigen Aufsichtsrat, sollte es zu einer Abstimmung kommen.
Epilog: Mir ist durchaus bekannt, dass es bei Springer und speziell bei „Bild“ schon öfter zu Pärchenbildung gekommen ist. Aber zum einen haben sich dort meist Menschen kennen und lieben gelernt, die nicht schon anderweitig verheiratet waren. Zum anderen hatte offenbar auch keine/r das Gefühl, sich an die Compliance-Abteilung oder einen Rechtsanwalt wenden zu müssen. Sie wurden auch nicht zur Belohnung auf einen Posten gehievt oder zur Bestrafung von einem Posten wieder entfernt. Das ist schon ein wichtiger Unterschied.
Und ja: Jeder weiß, dass ich Julian Reichelt nicht leiden kann, weder als Mensch noch als Journalist. Er verachtet mich und ich verachte ihn. Allein sein journalistisches Versagen reicht seit langem aus, ihn endlich in die Wüste zu schicken. Auch mir sind einige der Fälle bekannt, die jetzt im Compliance-Verfahren eine Rolle spielen. Nicht aus eigenem Erleben, aber aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Beobachtungen und Erlebnisse klingen diese Berichte nachvollziehbar und auch glaubwürdig. Da ich aber weder Aufsichtsrat (warum eigentlich nicht?) noch Compliance-Manager noch Rechtsanwalt bin, ist meine Einschätzung vielleicht nur ungefähr richtig. Das ist aber immer noch besser als präzise falsch.
4 Antworten
Ich war über 40 Jahre Bildleser, konnte schon immer die Infos aus Bild mit anderen Medien abgleichen und habe Bild diese plakative Aufmachung zugestanden. Aber schon die Berichterstattung gegen Wolfgang Niersbach, die eher eine Hetze war und genau genommen noch heute nicht belegt ist, hat mich als Bildleser fast angeekelt. Aber Konsequenzen habe ich erst nach diesem absolut sinnlosen Drosten „bashing“ gezogen. Das hatte schon nach dem ersten Artikel mit Journalismus nichts mehr zu tun. Nicht nur überflüssig und dämlich, sondern auch verantwortungslos und gefährlich.
Ich werde mir nie mehr, wirklich NIE MEHR eine Bikdzeitung kaufen. Und ich kann mir nicht vorstellen, mit diesem Entdchluss der einzige zu sein, da müsste sich schon wirklich etwas grundlegend ändern.
SCHADE,ich habe seinetwegen die BILd schätzen gelernt.Ein „freier“Geist,kompetent u. wortgewandt,engagiert u.nie langweilig.Hohes Niveau für ein Boulevardblatt.Aber vielleicht war die Merkelkritik zuviel?Die amerik.Abhängigkeit ist ja auch interessant.Er hat das linkeVorurteil vom a…kriechenden Regierungsblatt widerlegt.Schade,ohne ihn ist die Bild uninteressant.
Mensch, Georg Streiter, Ihr Artikel ist wirklich sehr informativ. Er bringt Dinge, die ich noch nie gelesen habe. Sie wissen sehr viel. Ich finde Ihren Artikel bemerkenswert.
Sehr interessante Artikel, Herr Streiter. Mich würde mal interessieren, was Herrn Reichelt antreibt, so gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung anzuschreiben. Gewöhnlich nimmt doch Bild für sich in Anspruch Volkes Stimme wiederzugeben. In Umfragen waren im Frühjahr 2020 mehr als 70% der Befragten der Meinung, dass die Einschränkungen richtig oder noch zu gering sind. Nur eine Minderheit empfand die Maßnahmen als übertrieben. Deren Position vertrat Bild und begann gegen Drosden, Lauterbach und Merkel zu hetzen. Es ist doch eher ungewöhnlich für ein Boulevardblatt, das die Auflage im Blick hat, gegen eine Mehrheitsmeinung anzuschreiben.
Dazu würde mich Ihre geschätzte Meinung interessieren.
Viele Grüße
Reto Schnabl