Ziemlich viel USA und China in der Europa-Cloud

Überspült von den Wellen der Corona-Pandemie gab es dieser Tage zwei Meldungen „aus Europa“, die wohl erst in Zukunft für große Aufregung sorgen werden. Weil in Europa eben alles so lange dauert. Zum einen war heute zu lesen, dass das Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel nach 26 Jahren bereits ein Fall für eine Totalsanierung oder einen Neubau ist. Zum anderen wurde dieser Tage – vier Monate nach seiner Gründung – ein internationaler gemeinnütziger Vereins namens „GAIA-X AISBL“ in Brüssel offiziell eingetragen. Es geht um die Entwicklung einer vertrauenswürdigen und souveränen digitalen Infrastruktur, die auf europäischen Regeln basiert. Ich muss das schnell aufschreiben, weil der Ärger über diese Projekte möglicherweise länger anhält als ich lebe.

Das Paul-Henri-Spaak-Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel, erst 1995 eröffnet, ist schon ein Fall für eine Totalsanierung oder einen Neubau – Foto: Europäisches Parlament

Im Fall des Europäischen Parlaments ist die Sache noch relativ einfach: Das „PHS“-Gebäude, benannt nach dem belgischen EU-Gründervater Paul-Henri Spaak, wurde zwar erst 1995 eröffnet, ist jetzt aber (jedenfalls nach Einschätzung des Europäischen Parlaments selbst) schon hinüber. Völlig unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung gab es einen Architekten-Wettbewerb, und am Donnerstag vergangener Woche wurden – streng geheim – die Sieger gekürt. Das Ganze ist so geheim, dass nicht einmal die Jury weiß, wer die fünf Gewinner des Wettbewerbs tatsächlich sind. Nur eins sickerte schon mal durch: Das Projekt soll um die 400 Millionen Euro kosten (wer’s glaubt, wird selig), die Bauarbeiten sollen von 2024 bis 2029 dauern. So der Plan. Heute. Meine völlig unverbindliche Prognose: Ich werde mir das aus dem Himmel angucken, muss dann aber auch in keiner Weise mehr für die entstandenen Kosten aufkommen.

Der zweite Europa-Knaller ist nicht ganz so einfach zu verstehen: GAIA-X. Das ist ein zunächst deutsch-französisches Daten-Infrastruktur-Großprojekt für Europa. Irgendjemand, der ahnte, dass es vermutlich etwas unübersichtlich wird, gab ihm den Namen der griechischen Göttin Gaia, der personifizierten Erde. Sie brachte der griechischen Mythologie nach die Titanen zur Welt, die einäugigen Zyklopen und die Hekantocheiren – riesenhafte Geschöpfe mit 50 Köpfen und 100 Armen.

Das GAIA-X-Logo soll wohl an die Nachkommen der griechischen Göttin Gaia erinnern, die nach der griechischen Mythologie 50 Köpfe und 100 Arme hatten

Das GAIA-X-Projekt soll noch größer werden. Die meisten nennen es „europäische Cloud“, also ein Gegenstück zu den Cloud-Giganten Amazon AWS, Microsoft Azure, Google Cloud aus den USA oder Alibaba aus China. GAIA-X wurde 2019 ins Leben gerufen und soll ein gigantisches digitales europäisches IT-System werden, in dem unzählige Unternehmen und unzählige Institutionen Unmengen von Daten speichern und austauschen können. Absolut sicher, nach europäischen und nicht etwa nach amerikanischen oder chinesischen Regeln. Versprochen wird nicht weniger als „vertrauenswürdige und souveräne digitale Infrastruktur für Europa“.

Knapp zwei Jahre nach der ersten Idee hat GAIA-X seit dem 9. Februar 2021 immerhin schonmal einen internationalen gemeinnützigen Trägerverein in Brüssel

Das klingt gut. Wird aber schwer

Denn das Ganze – jetzt kommt das Problem – soll offen für alle sein, die versprechen, sich an (noch zu definierenden) europäischen Regeln halten. Für das Versprechen gibt es dann ein Zertifikat. Und sehr viele werden sich um ein Zertifikat bemühen.

Nichts aber löst unter IT-lern eine größere Anziehungskraft aus als eine große Wolke voller Daten. Da will man dann schon rankommen. Für alle Fälle.

So ist es kein Wunder, dass die üblichen Verdächtigen zu GAIA-X streben wie die Motten zum Licht. Seit dem Start sind laut Dow Jones News Unternehmen wie beispielsweise der chinesische Ausrüster Huawei und der US-Konzern Palantir an GAIA-X beteiligt. Schon im November 2020 bestätigte GAIA-X-Sprecher Oliver Senot Dow Jones News: „Huawei und große US-Firmen sind in das GAIA-X-Projekt involviert und begleiten uns als Tag-1-Mitglied.“ Als weitere amerikanische Firmen sind Microsoft, Google, Amazon Web Services oder VMware an GAIA-X beteiligt, berichtet Dow Jones und zitiert einen Huawei-Firmensprecher, er habe die Hoffnung, dass GAIA-X „zu einem Vorzeigebeispiel für digitale Souveränität Europas“ werden könne, „indem europäische Regeln gelten, ohne die Expertise und Innovationskraft nicht-europäischer Player auszuschließen“.

Die großen Player aus den USA und China sollen alle mitmachen, um Europa eine „vertrauenswürdige und souveräne digitale Infrastruktur“ zu verschaffen

War da nicht was mit Huawei? Ja! Die China-Firma steht schon beim Aufbau der 5G-Mobilfunktechnologie in der Kritik. Es wird ein Zugriff des chinesischen Staats auf das Unternehmens befürchtet, und dass Huawei-Technik für Spionage eingesetzt wird.

War da nicht was mit Palantir? Ja! Der US-Software-Anbieter ist bei Datenschützern höchst umstritten, weil er mit Geld des amerikanischen Geheimdienstes CIA gegründet wurde und mit zahlreichen Regierungen, Militärs und Geheimdiensten zusammenarbeitet.

Verkaufsschlager von Palantir ist die Software „Gotham“. Ein Programm zum Einsammeln, Sortieren und logischen Zusammensetzen von gigantischen Datenmengen. Ein Traum z.B. für Geheimdienste, die immer wieder ihrer massenhaft gesammelten Daten nicht Herr werden. So waren alle Attentäter der 9/11-Anschläge in New York und Washington zwar sehr gründlich von den US-Geheimdiensten erfasst – nur fügten sich erst nach dem Einsturz der Türme des World Trade Centers die vielen vorhandenen Informationsschnipsel zu einem klaren Bild. Zu spät.

Screenshot der Palantir-Software „Gotham“ – Der Traum aller Nachrichtendienste

Seitdem sind Regierungen und Behörden in der ganzen Welt scharf darauf, die Palantir-Software zu kaufen. Und Firmenchef Alexander Karp, meist ganz hip in Turnschuhen und Hoodie unterwegs, vernetzt sich überall, wo er ein Geschäft wittert. Auch in Europa, auch in Deutschland. 2015 wurde er zum Mitglied im Board of Directors der britischen Wirtschaftszeitung „The Economist“ berufen. Von April 2018 bis Januar 2020 war er Mitglied im Aufsichtsrat von Axel Springer, jetzt sitzt er bei Springer im sechsköpfigen „Aktionärsausschuss“, gemeinsam mit Vorstandschef Mathias Döpfner und Friede Springer.

Springer-Chef Mathias Döpfner interviewt „Palantir“-Chef Alexander Karp Foto: Axel Springer

Südlich der Alpen hat Alexander Karp die frühere österreichische Nationalrats-Abgeordnete und SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas als Geschäftsentwicklerin bei Palantir eingestellt und gleich noch im Verwaltungsrat des Medienkonzerns Ringier in der Schweiz untergebracht.

Die Ex-SPÖ-Politikerin Laura Rudas arbeitet jetzt für Palantir und Ringier – Foto: Pertramer

Was Verkäufer einer führenden Geheimdienst-Software in den Chefetagen von Medien-Konzernen wollen und machen, kann man sich noch denken. Ob solche Verbindungen schlau sind, ist eine andere Frage – schließlich ist Karps Spezialgebiet eher die Unterstützung der Exekutive, nicht derer, die diese kontrollieren. Mit der hessischen Polizei ist er mittlerweile im Geschäft, in Nordrhein-Westfalen kurz davor.

Dieser kleine Exkurs wirft ein Licht auf die absehbaren Probleme des Projekts GAIA-X: Wie gestaltet man eine „vertrauenswürdige und souveräne digitale Infrastruktur für Europa“ mit Partnern, zu denen man eigentlich die europäische saubere Alternative sein will? Ist das Versprechen europäischer Souveränität ohne die Giganten aus den USA oder China überhaupt zu halten? Gibt es in Europa keine Alternativen? Sind wir technisch so zurückgefallen, dass wir den Rückstand gar nicht mehr aufholen können? Eine der wenigen Firmen, von denen man in diesem Zusammenhang noch etwas erwarten kann, ist die Wiener Software-Werkstatt des in der Schweiz ansässigen Unternehmens DSIRF („Decision Supporting Information Research and Forensic“ – Entscheidungsunterstützende Informationsforschung und Forensik). Natürlich fühlt sich auch der deutsche Software-Gigant SAP verpflichtet, bei GAIA-X mitzumachen. Aber so ganz überzeugt war SAP-Chef Christian Klein vor einem Jahr noch nicht: Ihm sei das langfristige Ziel von GAIA-X nicht ganz klar, sagte er der Deutschen Presse-Agentur: „Die Frage ist doch: Wie will ich abseits der reinen Datenspeicherung mit so einer Cloud Geld verdienen?“ Diese Frage sei noch immer offen.

So wird es wohl noch ein langer Weg, bis GAIA-X eines Tages europäischen Firmen wirklich zur Verfügung steht, um Daten untereinander sicher auszutauschen. Zurzeit werden Interessenten akquiriert und Anwendungsideen produziert. Dann müssen sich alle Beteiligten über Infrastruktur, Schnittstellen und Regeln einigen. Das kann dauern. Denn da sind mehr als 50 Köpfe und 100 Arme wie bei den Abkömmlingen der Göttin Gaia zu koordinieren. Und Europa-Freunde wie ich können Wetten abschließen: Was wird eher fertig? Der Neubau des Europäischen Parlaments oder GAIA-X? Und: Werde ich das noch erleben?

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