Steinmeier muss sich Sorgen machen

Wenn SPD, Grüne und FDP an diesem Mittwoch ihr erstes Dreier-Gespräch zur Bildung einer Ampel-Koalition führen, muss nicht nur der unterlegene Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet das Ende seiner politischen Karriere befürchten. Er steht im Rampenlicht. Aber auch im Schatten muss sich jemand große Sorgen um seine Zukunft machen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.   

Dabei hatte er am 28. Mai 2021 mit einem Paukenschlag alle überrascht: Aus dem Nichts heraus erklärte er, dass er Bundespräsident bleiben will. „Ich möchte mich für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zur Wahl stellen. Ich möchte unser Land auf seinem Weg in die Zukunft begleiten“, sagte er auf einer ganz kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Schloss Bellevue.

Zu diesem Zeitpunkt war Steinmeiers Schachzug – je nach Betrachtungsweise – mutig oder gewagt. Niemand hat im Mai damit gerechnet, dass die SPD die nächste Bundesregierung anführen würde. Beinahe jeder ging davon aus, dass Armin Laschet zusammen mit den Grünen ein schwarz-grünes Bündnis schmieden und Nachfolger von Angela Merkel werden würde.

Bedeutet ein Sieg von Scholz die Niederlage von Steinmeier?

Es kam anders, und eigentlich müsste Steinmeier nach Olaf Scholz der glücklichste Mensch sein: Kommt es zur Ampel-Koalition, hätte diese in der Bundesversammlung, die am 13. Februar 2022 den Bundespräsidenten wählt, locker eine absolute Mehrheit – auch wenn die Union dort mit 446 Stimmen stärkste Kraft ist. Nach Berechnungen der Politik-Plattform „election.de“ werden SPD, Grüne und FDP dort auf 776 von 1470 Wahlfrauen und -männern kommen. Und dabei ist die Linke (68 Stimmen) noch gar nicht eingerechnet, die Steinmeier wie die FDP bereits ihre Unterstützung zugesichert hat.

Was Steinmeier irritieren muss, sind die nicht eindeutigen Stellungnahmen von SPD und Grünen. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erklärten zwar ihre „große Freude“, sprachen von einer „großen Chance“ – machte aber öffentlich keine festen Zusagen. Die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck wiesen gleich darauf hin, dass über den nächsten Bundespräsidenten „nach der Bundestagswahl entschieden“ werde.

Das ist jetzt.

Koalitionsverhandlungen können unkalkulierbare Kräfte freisetzen

Steinmeier findet sich plötzlich auf einem Personalkarussell, das noch gar nicht in Fahrt gekommen ist. Und muss fürchten, herunterzufallen.

Denn mit dem Wahlsieg der SPD, mit den Sondierungen und möglichen Koalitionsverhandlungen, in denen politische Sachfragen wie persönliche Empfindlichkeiten urplötzlich ungeahnte Kräfte entwickeln können, ist die Situation völlig unkalkulierbar. Denn immer hängt alles mit allem zusammen – nur weiß man meist nicht, was genau womit.

Ein Fixpunkt wird die konstituierende Sitzung des Bundestages am 26. Oktober sein. Dort stellt die SPD die stärkste Fraktion und wird nach bisheriger Staatspraxis – vorgeschrieben ist das nicht – den Posten der Bundestagspräsidentin oder des Bundestagspräsidenten besetzen. Das zweithöchste Amt im Staat.

Im Gespräch sind der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, es gibt aber auch Bestrebungen, dieses Amt endlich mal wieder einer Frau zu übertragen. Dafür wird z.B. die frühere Integrations-Staatsministerin Aydan Özoğuz genannt.

Drei von vier Verfassungsorganen von der SPD besetzt?

Wer auch immer es wird: Damit wären die Spitzenposten von drei der vier Verfassungsorgane von der SPD besetzt – Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler. Nur Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth kommt von der CDU.

Das wäre eine Situation, mit der sich die erstarkten Grünen wohl nicht gern abfinden möchten. Die hatten sich schließlich monatelang innerlich schon auf ein schwarz-grünes Regierungsbündnis einstellen müssen und gehofft, dass zur Entschädigung für ihre Schmerzen eine von ihnen Bundespräsidentin werden kann. Dies umso mehr, weil CDU und CSU sich – wie schon seit 2010 – erstaunlicherweise nicht um eigene Bundespräsidenten-Kandidaturen bemüht hatten.

Die Grünen könnten Katrin Göring-Eckardt ins Rennen um das Präsidialamt schicken
Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Die Grünen gingen also davon aus, dass sie bei Koalitionsverhandlungen mit der Union z.B. Katrin Göring-Eckardt locker durchsetzen könnten. Jetzt gegenüber dem Lieblingspartner SPD davon Abstand nehmen zu müssen, dürfte ihnen schwerfallen.

Eine Frau als Bundespräsidentin durchzusetzen, käme auch der unverhältnismäßig männlich daherkommenden FDP nicht ungelegen. Zwar hatte sie Steinmeier schon ihre Unterstützung zugesagt – aber wer wollte es den Liberalen verdenken, wenn sie diese Zusage wieder rückgängig machen müssten, weil sie plötzlich z.B. Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur Bundespräsidentin machen könnte? Im Tausch für einen wichtigen FDP-Punkt beiden Koalitionsverhandlungen.

Die FDP könnte auf die Idee kommen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann antreten zu lassen – Foto: Michael Gstettenbauer

Steht die SPD zu Steinmeier?

Letztlich aber kommt es auf die SPD an. Formal ist nicht entscheidend, ob Steinmeier will – seine Partei (oder jemand aus der Bundesversammlung) muss ihn vorschlagen. Steht die SPD  zu Steinmeier? Opfert sie ihn? Und wie wird sie ihm das erklären?

Eine große Mehrheit der Deutschen, nämlich 70 Prozent, befürwortet eine zweite Amtszeit für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Das ergab eine Forsa-Umfrage für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag, 4.10.2021). 85 Prozent sind dagegen, dass seine Wiederwahl Gegenstand des Pokerns in den anstehenden Koalitionsverhandlungen wird.

Dies ist der Wunsch. Was Wirklichkeit wird, sehen wir später.

Eine Antwort

  1. Sie schreiben: „drei der vier Verfassungsorgane“. Das ist nicht korrekt: Es gibt in Deutschland FÜNF Verfassungsorgane – auch der Bundesrat ist eines.

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