Warum der Fraktionschef der CDU/CSU Merkel angreift

Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, antwortet am 26. November 2020 auf die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel – Foto: Deutscher Bundestag

Muss die Union aus CDU und CSU neben der Regierungsarbeit nun auch noch die Aufgaben der Opposition im Deutschen Bundestag übernehmen?

Den Eindruck konnte man gewinnen, wenn man heute, am 26. November 2020, die Bundestagsdebatte über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie verfolgt hat. Die „wichtigste oppositionelle Rede“, twitterte verblüfft Nico Fried, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, kam nicht von der AfD, nicht von der FDP, nicht von der Linken und auch nicht von den Grünen – die hielt ausgerechnet Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

SZ-Korrespondent Nico Fried twitterte nach der Rede von Brinkhaus ganz verblüfft

Eigentlich hätte man von ihm eine brave Würdigung der Anti-Corona-Beschlüsse der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom Vortag erwartet. Brinkhaus aber knöpfte sich alle vor, kritisierte die Beschlüsse als unzureichend – und verschonte auch die Kanzlerin persönlich nicht. Warum nur hat er das gemacht? Die Antwort ist einfach: Brinkhaus verteidigt schon heute seinen Platz für die Zeit nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel musste sich die schärfste Kritik an ihrer Reierungserklärung ausgerechnet von ihrem Parteifreund Ralph Brinkaus anhören – Foto: Deutscher Bundestag

Frei und ohne Manuskript ratterte Brinkhaus Fundamentalkritik herunter: Die beschlossenen Maßnahmen hätte er sich früher gewünscht:

„Hier haben wir zwei Wochen verloren; auch das gehört zur Wahrheit dazu. Aber gut, dass was geschehen ist.“

Er hält die Kontakt-Lockerungen zu Weihnachten und Silvester für gefährlich:

„Ob man Weihnachten und Silvester zusammen mit Lockerungen belegen muss, weiß ich nicht. Das ist ein doppeltes Risiko. Und ganz ehrlich, meine Damen und Herren: Wir sind in der schwersten Krise in dieser Republik seit 75 Jahren. Da ist es wohl auch mal zumutbar, dass man Silvester nicht böllert.“

Brinkhaus bezweifelt, ob die Lockerungen zu Weihnachten und Silvester überhaupt realisiert werden können:

„Ich finde es aber ambitioniert, das heute schon zu versprechen, weil wir nicht wissen, wie sich die Situation im Dezember entwickeln wird.“

Im Bereich Schule sieht Brinkhaus „noch Potenzial“:

„Wir alle wollen die Schulen und Kitas so weit wie möglich offen halten. Da sind wir uns auch, glaube ich, alle einig. Aber zwischen „offen halten“ und „ganz schließen“ gibt es Zwischenstufen. Dazu gehört Wechselunterricht. Dazu gehört ein vernünftiges Schulbusmanagement. Dazu gehören auch Konzepte für das Distanzlernen. Die Bundesländer – es tut mir leid, wenn ich das jetzt sagen muss – hatten monatelang Zeit und Geld dafür, das umzusetzen!“

Und beim Thema Geld landete Brinkhaus einen Rundumschlag gegen die Bundesländer und die Bundeskanzlerin:

„Es gibt einen Bereich, Frau Bundeskanzlerin – das gilt auch für die Bundesratsbank bzw. die Länder -, der nicht in Ordnung ist: dass dort finanzielle Beschlüsse getroffen werden, ohne den Bundestag zu konsultieren. Das Haushalts- und Budgetrecht hat der Deutsche Bundestag. Ich frage mich, auf welcher Rechtsgrundlage dort entschieden wird, dass Hilfen verlängert werden.“

Brinkhaus stellt die versprochenen Hilfen an sich nicht infrage, aber das Verfahren:

„Ich finde es nicht in Ordnung, wie die Lastenteilung im Bereich Finanzen zwischen Bund und Ländern ist. Die Länder und die Kommunen kriegen über die Hälfte der Steuereinnahmen. Ich erwarte von den Ländern, dass sie sich jetzt endlich mal finanziell in diese Sache einbringen und nicht immer nur Beschlüsse fassen und die Rechnung dann dem Bund präsentieren. Das ist schlichtweg nicht in Ordnung.“

Der Chef der CDU/CSU-Fraktion bezweifelt die Wirksamkeit der von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten beschlossenen Maßnahmen. Ihn „beschleicht das Gefühl, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, um diese Welle wirklich nachhaltig zu brechen und die Zahlen nach unten zu treiben“, er hätte sich „konsequentere Maßnahmen gewünscht“ und beklagt: „Dieses scheibchenweise Immer-einen-Draufsetzen zermürbt uns doch alle!“

Seine Philippika endet mit den Worten:

„Wir müssen jetzt eines hinkriegen: dass wir schnell aus dieser Krise herauskommen, dass wir konsequent herauskommen, dass wir das Licht am Horizont sehen und konsequent darauf zulaufen. Das ist natürlich schwierig, weil es Widerstände gibt. … Es ist schwierig, weil es Widerspruch gibt. Und es ist schwierig, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil man den Menschen was zumuten muss. Aber eines ist auch richtig: Führen in der Krise heißt eben auch, den Menschen was zuzumuten!“

Das saß, zumal das amtliche Sitzungs-Protokoll vermerkt: „Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD“.

Warum hat Brinkhaus eine solche Rede gehalten?

Eine seiner Aufgaben ist ja schließlich auch, als Anführer der größten die Regierung tragenden Bundestagsfraktion der Bundeskanzlerin den Rücken frei zu halten. Warum greift er die Kanzlerin bei einer so wichtigen Bundestagsdebatte an?

Die Antwort ist wahrscheinlich einfach: Brinkhaus muss sich heute schon Sorgen machen, was er in einem Jahr beruflich so macht. Ein neuer Bundestag wird im September 2021 gewählt, und es ist kein Selbstläufer, dass Brinkhaus als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wiedergewählt wird.

Zum einen hat er nicht nur Freunde in der Fraktion. Viele, nicht die Mehrheit, aber doch etliche, nehmen ihm übel, wie er vor zwei Jahren das Unions-Urgestein Volker Kauder vom Sockel gestoßen hat.

Zum Zweiten ist in der Fraktion sein Führungsstil nicht unumstritten. Immer wieder wird berichtet, dass Brinkhaus nicht nur ungeduldig ist, sondern gelegentlich die Beherrschung verliert und sich zu Brüll-Anfällen hinreißen lässt.

Vor allem aber wächst in der CDU starke Konkurrenz heran: Drei Kandidaten bewerben sich um den Parteivorsitz. Zwei werden unterliegen und wollen vermutlich nicht in der politischen Versenkung verschwinden. Und neben Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen ackert sich gerade auch noch Gesundheitsminister Jens Spahn in den Vordergrund. Da wird es eng für Brinkhaus – zumal alle, die jetzt nach Höherem streben, auch noch aus einem Bundesland, Nordrhein-Westfalen, stammen.

Wenn es um die eigene Karriere geht, wird Brinkhaus sich gedacht haben, kann man es auch mal wagen, die Bundeskanzlerin anzugreifen, die nichts mehr werden will. Vor allem, wenn man ahnt, dass auch die Bundeskanzlerin sich eher strengere als laschere Maßnahmen gewünscht hätte.

Die vollständige Rede von Ralph Brinkhaus im Video

2 Antworten

  1. Der Satz, der mit „Den Eindruck konnte gewinnen“ beginnt, holpert – da scheinen ein paar Wörter zu fehlen. Und dem mit „Die Antwort ist wahrscheinlich einfach“ beginnenden Absatz fehlt am Ende ein „als“.

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