Angela Merkel droht die 17. Neujahrsansprache

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl wird es etwas unübersichtlich: Für den Unions-Kanzlerkandidaten ist das Rennen keineswegs gelaufen wie erhofft. Armin Laschet lahmt ein wenig, SPD-Konkurrent Olaf Scholz bekommt die „zweite Luft“. Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock fällt zurück. Und mehr denn je muss Bundeskanzlerin Angela Merkel befürchten, doch noch eine unerwartete 17. Neujahrsansprache im Fernsehen halten zu müssen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. Dezember 2020 bei ihrer 16. Neujahrsansprache: „Dies ist deshalb heute aller Voraussicht nach das letzte Mal, dass ich mich als Bundeskanzlerin mit einer Neujahrsansprache an Sie wenden darf

Glaubt man den Umfragen der vergangenen Woche, steuert Deutschland auf eine sehr schwierige Regierungsbildung zu. CDU/CSU, SPD und Grüne kreisen um die 20% – derzeit noch mit einem Vorteil für die Union. Aber es ist keineswegs ausgemacht, dass die Wahlsieger mit den meisten Stimmen auch das Kanzleramt erobern.

Ich hatte das im Mai schon einmal „Willy-Brandt-Effekt“ genannt und auf die Bundestagswahl 1969 verwiesen, bei der zwar CDU und CSU „gewonnen“ hatten – im Ergebnis aber Willy Brandt (SPD) mit Hilfe der FDP Kanzler wurde.

Nicht wer die meisten Stimmen hat, sondern wer am besten verhandelt, gewinnt

Es deutet sich an: Entscheidend wird möglicherweise gar nicht sein, welche Partei die meisten Wählerstimmen bekommt. Sondern wer nach der Wahl am geschicktesten dabei ist, ein Regierungsbündnis zusammenzuschmieden.

Erschwerend kommt hinzu, dass im Gegensatz zur Wahl 2017 alle Parteien außer der AfD wild entschlossen sind, unter (fast) allen Umständen zu regieren oder mitzuregieren.

Sollten CDU und CSU mit einem nur knappen Vorsprung ins Ziel kommen, wird mit ziemlicher Sicherheit erst einmal darüber diskutiert werden, wer denn nun wirklich die stärkste Partei ist. Wer hat den „Auftrag“, eine Regierung zu bilden?

Wir erinnern uns: Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte die Union 35,2 Prozent, die SPD 34,3 Prozent. Weil sich die SPD nicht so schnell vom Kanzleramt verabschieden wollte, rechnete sie das Unions-Ergebnis auseinander und zog der Union jene 7,4 Prozent, die die CSU in Bayern erzielt hatte, einfach ab und stellte fest: Die CDU, die die Kanzlerin stellen wollte, hat ja eigentlich nur 27,8 Prozent geschafft und damit die Wahl gar nicht gewonnen.

Das war natürlich ein billiger Bauerntrick, aber damit kann man schon mal ein, zwei Wochen Verwirrung stiften. Und auch die Grünen, sollten sie am 26. September knapp auf Platz zwei landen, werden das gern diskutieren. Schließlich ginge es für die Grünen um Historisches.

Wenn das dann geklärt ist, kommen Sondierungen in alle Richtungen, Abstimmungen bei SPD und/oder Grünen über die Sondierungen. Verhandlungen, Stillstände und Fortschritte bei Verhandlungen. Irgendwann ein Ergebnis. Angereichert vielleicht noch durch Mitgliederbefragungen und Sonderparteitage.

Wenn alle regieren wollen, kann es lange dauern

Der Bundestag wird am 26.Oktober zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Wie lange über verschiedene Koalitions-Optionen verhandelt wird, ist völlig offen. Da sind 13 Wochen ganz schnell vorbei. Und so lange bleibt die alte Regierung geschäftsführend im Amt. Die Kanzlerin sitzt mit der alten Großen Koalition auf der Regierungsbank. Und wenn sie Pech hat, auch am Silvestertag Im Fernsehstudio zur Aufzeichnung einer Ansprache, die sie nie halten wollte: Ihre 17. Neujahrsansprache.

Sie glauben, ich habe eine Meise? Vielleicht. Aber auch die von mir sehr geschätzte Kollegin Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat diese Befürchtung schon geäußert. Am 12. April 2021 bei „Hart aber fair“ in ihrer Antwort auf die Schlussfrage.

Angela Merkel hat die Erfahrung gemacht hat, dass sie immer mit allem rechnen muss. Deshalb hat sie sich bei ihrer Fernsehansprache zum Jahreswechsel 2020/2021 auch nur vorsichtig verabschiedet: „Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas Persönliches sagen. In neun Monaten ist Bundestagswahl, zu der ich ja nicht wieder antreten werde. Dies ist deshalb heute aller Voraussicht nach das letzte Mal, dass ich mich als Bundeskanzlerin mit einer Neujahrsansprache an Sie wenden darf. …“

Hoffen wir, dass Annalena Baerbock, Armin Laschet, Olaf Scholz und vor allem ihre Parteien Erbarmen mit Angela Merkel haben und ihr das ersparen.

2 Antworten

  1. Netter Nebeneffekt: Falls die Kanzlerin zum Jahreswechsel 2021/22 tatsächlich noch im Amt ist, hat sie Helmut Kohl, den bisherigen Rekordhalter in Sachen Kanzlerschaft-Amtsdauer, eingeholt … Kohl amtierte vom 01.10.1982 bis zum 27.10.1998, Merkels Amtszeit begann am 22.11.2005.

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