Kanzler der Einheit, Witwe der Zwietracht

Vor genau 40 Jahren, am 1. Oktober 1982, wurde Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. Für seine Freunde ein Grund zur Pflege des Ruhms. Für seine Witwe Anlass zur Pflege der Zwietracht. Es ist eine Tragödie um den Kanzler der Einheit.

Maike Kohl-Richter besuchte am 90. Geburtstag ihres Mannes sein Grab in Speyer. Ausriss aus der „Bild“-Zeitung vom 29.9.2022.
Foto: Daniel Biskup

Es hatte etwas von einem Klassentreffen: Zur ersten öffentlichen Veranstaltung der im vergangenen Jahr gegründeten Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung in der Französischen Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin hatten sich am 27. September Freunde, Wegbegleiter und Verehrer von Helmut Kohl versammelt. Das Erinnern an den 40. Jahrestag seiner Wahl zum Bundeskanzler war so froh-ergriffen, dass selbst zwischen Erzrivalen wie z.B. Angela Merkel und Friedrich Merz so etwas wie Herzlichkeit aufkam. Es war, als wenn der Kanzler, der für die Einheit Europas gelebt und Deutschland die Einheit gebracht hatte, fünf Jahre nach seinem Tod Versöhnungssignale in den Festsaal gesendet hätte.

Volker Kauder (.), Vorsitzender des Kuratoriums der Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung, die frühere Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CDU-Chef Friedrich Merz bei der ersten öffentlichen Veranstaltung der Kohl-Stiftung

Erst gegen Ende sprach sich herum, dass sich Helmut Kohls Witwe ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hatte, die Fahne der Zwietracht zu hissen. Sie veröffentlichte einen zweiseitigen Brief, in dem Sie der Helmut-Kohl-Stiftung den Namen Helmut Kohl streitig macht. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal so spektakulär. Sie wollte die Party sprengen.

Dr. Maike Kohl-Richter will der Stiftung ihren Namen wegnehmen, droht mit einer Klage gegen die Stiftung. Sie sieht Helmut Kohls „postmortale Rechte“ verletzt und damit auch ihre „Rechtspositionen als seine Erbin“. Ihre Behauptung: „Sie haben nicht das Recht, seinen Namen für die staatliche Stiftung zu benutzen und in seinem Namen aufzutreten und zu handeln.“ Und schlussfolgert: „Deswegen fordere ich Sie auf, die Arbeit der mit seinem Namen verbundenen Stiftung einzustellen oder den Stiftungsnamen zu ändern, z.B. in Deutschland-, Deutsche-Einheit- oder Europastiftung oder wie auch immer.“

Die Wut der Witwe hat einen Vorlauf: Schon seit zwei Jahren macht sie ihre Zustimmung zu einer Gedenkstiftung für Helmut Kohl davon abhängig, dass die CDU ihr Verhältnis zu Helmut Kohl „klären möge“.

Es geht nicht um den Namen, sondern um die Spenden

Es geht im Kern um die aus ihrer Sicht „sogenannte Spendenaffäre“, die Maike Kohl-Richter auch die „Ereignisse ab Herbst 1999“ nennt. Zur Erinnerung: Kohl hatte im November 1999 eingeräumt, zwischen 1993 und 1998 Spenden in Höhe von 1,5 bis zwei Millionen Mark an die CDU angenommen zu haben ohne sie wie vorgeschrieben deklariert zu haben. Er weigerte sich, die Namen der Spender zu nennen. Er habe ihnen sein Ehrenwort gegeben, ihre Namen nicht zu verraten. Auf Druck des damaligen CDU-Chefs Wolfgang Schäuble und der damaligen Generalsekretärin Angela Merkel musste er im Januar 2000 vom Amt des Ehrenvorsitzenden zurücktreten – was ihn sehr verletzt hat.

Das „bis heute anhaltende Spannungsverhältnis zwischen CDU und Helmut Kohl“ habe seinen „Lebensabend erheblich beschwert“, erklärte Maike Kohl-Richter schon im Mai 2021 kurz vor der Errichtung der Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung durch den Bundestag. Nicht nur „vom politischen Gegner“, sondern „auch aus den eigenen Reihen der CDU“ sei Helmut Kohl „kriminalisiert“ worden. Sie forderte „vertrauensbildende Maßnahmen“ und eine „ehrliche, auch interne Aufarbeitung und Einordnung“, bevor man sich über die Errichtung einer Gedenkstiftung überhaupt Gedanken macht.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der damalige Koalitionspartner SPD ignorierten die Forderungen der wütenden Witwe. Auf ihren Antrag beschloss der Bundestag am 6. Juni 2021 das „Gesetz über die Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung“ als eine „Stiftung des öffentlichen Rechts“.

Sollte Maike Kohl-Richter ihre Drohung, vor Gericht zu ziehen, wahr machen, ist unsicher, was dabei herauskommt. Eine Helmut-Kohl-Stiftung ohne den Namen Helmut Kohl ist keine prickelnde Vorstellung. Die ganze Auseinandersetzung ist eine einzige Tragödie.

Helmut Kohl gehört uns allen

Ich persönlich habe dazu natürlich eine Meinung und glaube, dass Maike Kohl-Richter entweder schlecht beraten ist oder sich verrannt hat. Oder beides. Sie ist zwar Alleinerbin, aber nicht Alleinbesitzerin von Helmut Kohl. Er wurde fünfmal vom Deutschen Bundestag zum Bundeskanzler gewählt. Er hat diese Wahl fünfmal angenommen. Er ist aus freien Stücken zu einem bestimmenden Teil des Staates geworden. Die Vertretung des Volkes hat ihm große Macht verliehen, die er als Diener des Volkes über 16 Jahre lang ausgeübt hat. Er hat nicht für sich, sondern für Deutschland gehandelt. Und das dank der Wiederherstellung der Deutschen Einheit sogar in einer Weise, die ihn für immer zu einem großen Staatsmann der deutschen Geschichte gemacht hat.

Das Wissen über diesen Staatsmann und die Erforschung seiner Regierungszeit ist daher nicht Sache seiner Erbin allein, sondern auch Sache des Staats. Helmut Kohl gehört nicht nur seiner Witwe, sondern gehört uns allen.

Ich sehe, dass Helmut Kohl und seine Frau subjektiv das Gefühl hatten und haben, sie seien von der CDU nicht immer fair behandelt worden. Aber zum einen gehören Verletzungen immer wieder zum politischen Geschäft. Und zum anderen frage ich mich, wie man so misstrauisch sein kann, auf die Idee zu kommen, dass eine staatliche Helmut-Kohl-Gedenkstiftung einen Beitrag dazu leisten würde, das Ansehen von Helmut Kohl zu schmälern. Das ist völlig weltfremd. Außerdem, und das ist für mich das entscheidende: Es geht bei der Stiftung überhaupt nicht um die CDU und ihren ehemaligen Vorsitzenden Helmut Kohl. Es geht um den Bundeskanzler Helmut Kohl. Es geht nicht um die Partei, es geht um den Staat.

Es gibt viele staatliche Politiker-Gedenkstiftungen

Es gibt übrigens weitere sechs staatliche Politiker-Gedenkstiftungen: Die „Otto-von-Bismarck-Stiftung“, die „Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“, die „Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus“, die „Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus“, die „Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung“ und die „Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung“.

Ziel aller dieser Stiftungen ist es, das Andenken an ihre Namensgeber und ihr Wirken zu wahren – und nicht, an ihnen herumzumäkeln.

Ich habe die dort handelnden Personen kennengelernt, weil ich (ehrenamtliches) Mitglied des Vorstands der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus bin und es einen regelmäßigen stiftungsübergreifenden Austausch gibt. Kein Mensch redet schlecht über den Namensgeber seiner Stiftung. Das wäre ja auch ziemlich verrückt.

Eine Antwort

  1. Lieber Herr Streiter,
    Sie haben in diesem schönen Artikel nicht erwähnt, dass die Klagefrist beim Bundesverfassungsgericht gegen ein Errichtungsgesetz des Deutschen Bundestages am 9.Juni 2022 abgelaufen ist.
    Beste Grüße
    Heinz Neumann

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