Olaf Scholz: Nicht der Kanzler, dem die Menschen vertrauen

Knapp neun Monate nach Amtsantritt muss man Bundeskanzler Olaf Scholz attestieren: Er ist nicht der Kanzler, dem die Menschen vertrauen. Er persönlich und auch seine SPD sind wieder da angekommen, wo sie vor der Wahl 2021 standen: Ziemlich weit unten. Für einen derartigen Vertrauensverlust brauchten CDU und CSU unter Angela Merkel 16 lange Jahre.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Mittwoch auf dem Schulplatz von Neuruppin  bei einem „Bürgerdialog“ über Entlastungen in der Energiekrise sprach, wurde er von hunderten Wutbürgern niedergebrüllt. AfD und Linke hatten zum Protest aufgerufen. Die Demonstranten brüllten „Volksverräter“ und „Hau ab!“ – Scholz war kaum zu verstehen. Knapp neun Monate nach seinem Amtsantritt im Dezember 2021 ist Scholz schon da, wo Angela Merkel nach 16 Jahren Kanzlerschaft war. Oder noch – auf jeden Fall hat der neue Bundeskanzler im Vergleich zur alten Bundeskanzlerin nichts zum Besseren wenden können, zumindest was die unermüdlichen Brüllaffen betrifft.

Bundeskanzler Olaf Scholz wurde am 17. August 2022 bei einem „Bürgerdialog“ in Neuruppin von einer Wutbürger-Koalition aus AfD und Linkspartei niedergebrüllt Screenshot: WELT TV

In Neuruppin zeigte sich ein weiteres Mal ein seit der Flüchtlingswelle 2015 wachsendes gesellschaftliches Problem, nämlich die Frage der Kultur bzw. Unkultur des politischen Dialogs. Die Frage, wie weit der linke wie rechte Rand unserer Gesellschaft gehen wollen, als radikale Minderheit die Mehrheitsgesellschaft so weit wie möglich zu attackieren und zu zerstören.

Nicht der Mann, mit dem alles besser wird

Es zeigt sich aber auch, dass es Olaf Scholz knapp ein Jahr nach der mit Ach und Krach gewonnen Bundestagswahl nicht gelungen ist, auch nur ansatzweise zu vermitteln, dass er der Mann ist, mit dem jetzt alles anders und wenn möglich vieles besser wird.

Alles, was Demoskopen so messen können, spricht gegen ihn: Bei den persönlichen Beliebtheitswerten landet er hinter drei Grünen-Politikern (Robert Habeck, Annalena Baerbock und Cem Özdemir) erst auf Platz vier, und zwar weit abgeschlagen. Seine SPD (die ihn nie so richtig mochte und 2019 eindeutig nicht als Vorsitzenden haben wollte) befindet sich in der Wählergunst wieder im Sturzflug in Richtung auf alte Tiefen, aktuell wieder unter 20 Prozent.

Im Kanzleramt und im Willy-Brandt-Haus fragt man sich: Wie kommt es, dass Union und Grüne – mittlerweile gleichauf – die SPD derart abgehängt haben? Bei nüchterner Betrachtung muss man dort erkennen: Olaf Scholz ist nicht der Kanzler, dem die Menschen vertrauen.

Das Meinungsforschungsinstitut „forsa“ ermittelt seit Jahrzehnten jede Woche die Parteienpräferenzen der Wähler. Bitter für die SPD: Sie verliert seit April beständig, wird von den Grünen und CDU/CSU längst deutlich abgehängt.

Wenn man nicht (mehr) in der Berliner Politblase im Hamsterrad strampelt, ist die Sache relativ schnell relativ klar: Außer mit hier und da einem starken Wort nimmt man Olaf Scholz nicht als starken Anführer einer starken Regierung wahr. Ja, seine „Zeitenwende“-Rede nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine war stark. Außer einem peinlichen Gehampel um Waffenlieferungen und Gasboykott gegen Russland folgte daraus aber nicht viel.

„Wir lassen niemanden allein“? – Doch, und zwar Millionen!

Auch das neue Mantra „Wir lassen niemanden allein“ hat Scholz außer seiner Übersetzung ins Englische („You never walk alone“) nicht mit vielen Inhalten füllen können. Und wenn, lediglich mit teuren Symbolpolitik-Elementen: Das Neun-Euro-Ticket ist eine schöne Sache, nützt aber niemandem so richtig. 200/300 Euro Energiekostenzuschuss im jetzt September sind auch prima – helfen aber niemandem so richtig. Der Tankrabatt nützt nur denen, die sich das Tanken noch leisten können. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas und die gleichzeitige Erhebung einer Gas-Umlage entlastet die Verbraucher nicht. Lauter wahnsinnig teure Maßnahmen, die einen guten Eindruck machen sollen, aber in der Summe nicht sonderlich durchdacht wirken.

Und selbst die erfüllen nicht den von Scholz postulierten Anspruch: „Wir lassen niemanden allein“.

Doch!

Scholz lässt zum Beispiel die 21 Millionen Rentner allein – ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik. Die kriegen überhaupt nichts, obwohl sie vielfach schon zu wenig haben. Auch von den fast drei Millionen Studenten profitieren lediglich die rund 500.000 BAföG-Empfänger von den Krisen-Maßnahmen der Bundesregierung. Es sind viele, viele verunsicherte Menschen in Deutschland, die das Gefühl haben „alone“ zu „walken“.

Dabei sind die exorbitant steigenden Energiepreise bei den meisten Menschen noch gar nicht in vollem Umfang angekommen. Die wirkliche Krise kommt ja erst im kommenden Jahr 2023 – und man hat nicht den Eindruck, dass Olaf Scholz die Dimension schon realisiert hat. Auch da ist Olaf Scholz nicht der Kanzler, dem die Menschen vertrauen.

Der wahre Sprengstoff kommt noch

Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland – knapp 40 Millionen Menschen – wohnen zur Miete. Und jeder Mieter ahnt: So etwa ab April 2023 wird es fürchterlich. Dann kommen nämlich die Nebenkosten-Abrechnungen der Vermieter für das Jahr 2022, in dem die Energiepreis so unglaublich gestiegen sind.

Ebenso unglaublich werden die Nachforderungen der Vermieter sein: Wovon sollen Menschen, die ohnehin schon am finanziellen Limit leben, je nach Familiengröße 1.000 Euro oder gar 4.000 Euro für die fälligen Nachzahlungen nehmen? Speziell die knapp sieben Millionen Empfänger der sozialen Mindestsicherung können überhaupt nichts zahlen, weil sie jeden Euro und jeden Cent schon dreimal umdrehen müssen.

Die kommenden Nebenkostenabrechnungen beinhalten puren Sprengstoff, und man hat nicht den Eindruck, dass dies in aller Konsequenz schon bei Olaf Scholz angekommen ist.

Mieter, die ihre Nebenkosten-Nachzahlung nicht aufbringen können, müssen mit fristloser Kündigung rechnen. Gibt Olaf Scholz diesen Menschen Hoffnung? Bisher nicht. Wird es weitere Zuschüsse geben? Man weiß es nicht. Wird es einen Kündigungsschutz geben? Man weiß es nicht. Und wie sollen private Vermieter ihre Kosten beherrschen, wenn die Nachzahlungen der Mieter nicht kommen? Man weiß es nicht.

Wer soll „Kosten der Unterkunft“ bezahlen?

Bei Menschen, die Arbeitslosengeld oder Grundsicherung beziehen, ist die Rechtslage einigermaßen klar: Die „Kosten der Unterkunft (KdU)“ müssen die Jobcenter vulgo: Sozialämter übernehmen. Doch wo sollen die das Geld hernehmen? Müssen Städte und Gemeinden ihre Schwimmbäder, Bibliotheken und Theater schließen, damit sie sich das noch leisten können? Man weiß es nicht. Schon jetzt bezuschusst der Bund die „Kosten der Unterkunft“ über die Länder mit rund fünf Milliarden Euro jährlich.

Die Menschen in Deutschland sind verunsichert. Das Scholz-Versprechen „You never walk alone“ klingt vage, für viele unglaubwürdig. Man darf gespannt sein, ob und wann Scholz und sein Umfeld wahrnehmen, dass sie jetzt etwas tun müssen, damit wir alle, aber auch er selbst heil durchs nächste Jahr zu kommen.

Scholz muss auch dringend grundsätzliches Vertrauen in seine Person neu aufbauen. Sein Verschlafen der Hasstiraden des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zeugt nicht davon, dass der Bundeskanzler in der Lage ist, schnell auf eine gefährliche Lage zu reagieren. Und seine „Erinnerungslücken“ im seit Jahren vor sich hin dümpelnden Cum-Ex-Skandal glaubt ihm kein Mensch. Beides hat kein Kanzler-Format. Auch da muss Scholz dringend an sich arbeiten. Scholz ist nicht der Kanzler, dem die Menschen vertrauen. Und ein Kanzler, dem man nicht vertraut und der in Krisen in nicht durchdachten Aktionismus verfällt, wird vermutlich nicht wieder gewählt.

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